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Zaehme mich

Zaehme mich

Titel: Zaehme mich
Autoren: Emily Maguire
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Ohgottohgottohgott aus ihm hervor, und er stürzte sich auf sie. Schmerz durchzuckte sie, und sie musste sich die Faust in den Mund schieben, um nicht laut aufzuschreien.
    Dann hörte der Schmerz auf, und sie fühlte sich warm und ruhig. Mr. Carr schaute ihr stöhnend in die Augen. Sie berührte sein Gesicht, seine Haare; er machte eine Grimasse und bewegte sich schneller. Dann, mit einem letzten, lauteren Ächzen, wälzte er sich von ihr herunter und hinterließ dabei etwas Warmes, Klebriges zwischen ihren Beinen.
    Das Ganze hatte keine zehn Minuten gedauert. Während sie die Bluse zuknöpfte, hörte sie durchs Fenster die Schreie von Kindern, das Geräusch einer Pfeife beim Korbball, einen laufenden Automotor. Sie nahm ein Taschentuch aus der Schachtel auf seinem Schreibtisch und putzte sich das triefende Zeug von den Oberschenkeln. Mr. Carr beobachtete sie mit dicken Tränen auf den roten Wangen. Als Sarah fertig war, ging sie zu ihm, um ihm das Gesicht abzuwischen.
    »Schon in Ordnung«, sagte sie, »Sie brauchen sich nicht schlecht fühlen.«
    »Ich fühle mich nicht schlecht, Sarah. Das ist ja das Tragische.«

2
    Weil er älter und ihr Lehrer war und weil er Frau und Kinder hatte, konnte Mr. Carr auf keinen Fall eine Wiederholung des gestrigen Vorfalls zulassen. »Oh«, machte Sarah, die gedacht hatte, dass ihr erneutes Bleiben nach der Schule genau dazu diente, den gestrigen Vorfall zu wiederholen. Die Art, wie er sie geküsst hatte, kaum dass die Tür verschlossen war, die Art, wie er ihr mit den Fingern durchs Haar gestrichen und sie gleichzeitig gefragt hatte, wie es ihr ging, die Art, wie er ihren Schenkel kraulte, als sie sich hingesetzt hatten – alles schien ihre anfängliche Annahme zu bestätigen.
    »Darauf kommt es mir gar nicht an. Ich bin einfach glücklich, wenn ich bei Ihnen bin.«
    »Ach Sarah …« Der Druck seiner Hand auf ihrem Schenkel wurde stärker. »Wenn es nur genügen würde, miteinander glücklich zu sein. Leider genügt es nicht. Ich würde meinen Job verlieren, meine Kinder. Sogar ins Gefängnis könnte ich kommen. Dem Gesetz ist es egal, wie glücklich wir uns fühlen. Du bist erst vierzehn, und nach dem Gesetz bist du noch nicht in der Lage zu erkennen, was dich glücklich macht.«
    »Dann täuscht sich das Gesetz eben.« Sarah tat, was sie schon tun wollte, seit sie Platz genommen hatten: Sie neigte sich vor und küsste die Furche zwischen seinen Augenbrauen. »Einfach zu behaupten, dass ich nicht weiß, was ich will – das ist beleidigend. Von Mädchen in meinem Alter wurde bis vor einiger Zeit erwartet, dass sie Babys auf die Welt bringen, das wissen Sie doch selbst. Es ist einfach lächerlich, dass man mir vor fünfhundert Jahren das Großziehen von Kindern zugetraut hätte und dass ich heute noch nicht mal entscheiden darf, ob ich einen Typ mag oder nicht.«
    »Ich weiß, das erscheint dumm.«
    »Es ist dumm. Am liebsten würde ich im Mittelalter leben. Dann hätte ich jetzt schon ein eigenes Dorf.«
    Mr. Carr lachte. »Genau, und bis auf die Lepra, den schlechten Atem und den Analphabetismus wärst du bestimmt auch sehr glücklich.«
    Sarah spürte, wie ihr heiß wurde. Heiß, weil es sie verlegen machte, dass er über sie lachte. Aber auch heiß von der Art, wie er sie am Schenkel anfasste. Seine Hand war so groß wie ihre beiden zusammen; bei jeder streichelnden Bewegung bedeckte sie sehr viel Haut. Sie küsste ihn wieder auf die Falte, dann auf die Stirn und auf den Mund.
    »Sarah …«
    »Dann ist die Gesellschaft eben dagegen. Wir müssen es ihr ja nicht sagen.«
    »Sarah …«
    »Gestern war der schönste Tag meines Lebens. Ich habe mich gefühlt wie Pip in Große Erwartungen, nachdem er zum ersten Mal in Miss Havishams Haus war. Der Tag gestern hat für mich ganz viel verändert: Er hat das erste Glied in der Kette geschmiedet, die mich binden wird. Ich muss rausfinden, wie meine Kette aussieht. Ob sie voller Dornen ist oder voller Blumen. Aus Eisen oder aus Gold.«
    Mr. Carr nahm seine Hand von ihrem Bein und stand auf. Er trat ans Fenster und öffnete die Jalousie.
    Kopfschüttelnd blickte er hinaus auf den leeren Schulhof.
    »In meinen sechzehn Jahren als Lehrer bin ich nie einer Schülerin begegnet, die auch nur halb so klug war wie du.
    Und nur selten habe ich eine gesehen, die so schön war.«
    Er ließ die Jalousie zuschnappen und wandte sich ihr wieder zu. »Niemand darf etwas erfahren.«
    »Ich weiß. Das ist in Ordnung.«
    »Nicht einmal ahnen dürfen sie
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