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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Herbst
    Herbst? Warum nicht; es ist ja alles bereit, die Früchte sind groß, und die kleinen Störche sind von den großen nicht mehr zu unterscheiden. Und es gibt da an der Chaussee einen Teil des Parkes, der nicht gefegt wird und nicht geharkt am Sonnabend; dort ist Unkraut, das ganz verbrannt herabhängt, und die halbwüchsigen Kastanien haben viele gelbe Blätter und geben davon eines um eines ab; nicht wenn es stürmt, da nehmen sie sich zusammen und halten, so fest sie können; aber hernach, wenn es so ausholend stille wird, dann streuen sie sich aus, Blatt für Blatt, lauter große, gelbe, verbogene Blätter. Dort gibt es verkommene Disteln mit kleinen violetten, traurigen Köpfen, Disteln, die so, ohne zu überlegen, in die Höhe gewachsen sind, Birken sind dort, die ganz schütter sind, und vielleicht sind sie's den ganzen Sommer gewesen –, aber jetzt sieht es aus, als wären sie mit Absicht und Freude so, und die Wolken ziehn hinter ihnen, und man sieht alles durch sie durch, was in den Himmeln geschieht. Und es geht so ein nachdenklicher, welker Duft umher wie von Blumen, die die Sonne getrocknet und die der Wind gepreßt hat, und es ist Herbst. Und deshalb gehe ich jetzt oft dort auf und nieder und meide den Platz unterm Nußbaum und alle meine sommerlichen Wege; denn ich will den Herbst! Ist es nicht, als wäre er das eigentlich Schaffende, schaffender denn der Frühling, der schon gleich ist, schaffender, wenn er kommt mit seinem Willen zur Verwandlung und das viel zu fertige, viel zu befriedigte, schließlich fast bürgerlich-behagliche Bild des Sommers zerstört? Dieser große herrliche Wind, der Himmel auf Himmel baut; in sein Land möchte ich gehen und auf seinen Wegen. Und viel
leicht hast Du ihn auch um Dich in Deinem heimatlichen Garten und siehst am Morgen sein Bildnis in den Bäumen, die er bewegt …
    Briefe I (Clara Rilke, 12. 8. 1904), 95f.
    Herbsttag
    Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
    Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
    Werke I , 398
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    Im September kommen viele aus den Waldsommern und von der See in die Stadt zurück. Sie sind des Gehens in den Gassen nicht mehr gewohnt und halten plötzlich, ehe sie sich dessen versehen, ihren Hut in der Hand wie im Walde, oder sie singen ganz laut vor sich hin. Das macht: die Erinnerungen schlafen noch nicht in ihnen. Und wenn sie einander begegnen, sind sie redselig und mitteilsam. Sie fühlen, wie aus dem Erzählen etwas, wie der Glanz der
letzten lauschenden Tage, aufsteigt und sich tröstend über die schwülen Straßen und Plätze breitet. Und vielleicht sagen sich die beiden beim Abschiednehmen: »Sie sehen sehr gut aus« – und »wie Sie sich verändert haben.« Und sie lächeln sich einen Augenblick verlegen und dankbar an.
    Werke IV (Die Geschwister), 211
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    Heute geht ein großer Herbstwind im Park umher; die Wege sind erfüllt von ihm und von dem was er treibt und trägt, aber in dem Garten voll Astern und Rosen, dem Gärtner-Garten, war es noch warm, Wärme von vielen Sommertagen, und es war noch Aufsteigendes in den Blumenstengeln und in den Stämmen und Ästen der Apfelbäume zwischen denen wir umhergingen bis wir schließlich unvermittelt jeder das Seine zu wissen glaubten.
    Heydt (11. 9. 1906), 92
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    Ich habe nicht viel gethan; ich habe ein wenig dänisch lesen gelernt an Büchern von Jacobsen und Hermann Bang und an den Briefen, die Sören Kierkegaard an seine Verlobte geschrieben hat; diese Briefe zu übersetzen, das war fast meine einzige Arbeit. Dann war ich krank und habe es schwer genommen und bin immer noch nicht ganz gesund. Und möchte nur, daß der große Sturm nicht aufhörte, der so herrlich ist und so herbstlich weit. Mir ist, als hätte ich viel zu viel Sommer gehabt und zu viel Sonne. Alles in mir wartet darauf, daß die Bäume alles abthun und daß hinter ihnen die Ferne sichtbar wird mit ihren leeren
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