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022

Titel: 022
Autoren: Flucht vor dem Teufel
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1. KAPITEL
    In dem kleinen, von einer hohen Mauer umgebenen Garten, der sich im unteren Burghof zu Nantes befand, hing eine erwartungsvolle Stimmung in der Luft. Herleva, die Kinderfrau von Graf Gilberts drei Töchtern, führte einen aussichtslosen Kampf mit dem Ziel, ihre jungen Schutzbefohlenen beschäftigt zu halten, derweil die Geräusche und Gerüche der Vorbereitungen für das Fest ihre Aufmerksamkeit anzogen. Irgendwo in der unterhalb der Burg gelegenen Stadt hämmerten Zimmermänner an Buden und hängten bunt gefärbte Flaggen auf, während Köche sich um offene Herdstellen und Spieße mit röstendem Fleisch kümmerten, Bäcker dafür sorgten, dass Tag und Nacht die Feuer in Öfen brannten und genug Brot sowie Pasteten für Vornehme und Gemeine gleichermaßen buken. Von Zeit zu Zeit wurde der Lärm neu eintreffender Herren und ihres Gefolges aus den engen, kopfsteingepflasterten Straßen heraufgetragen. Die meisten von ihnen würden Unterkunft in der Stadt nehmen, doch einige der höherrangigen Adeligen Graf Gilberts Gastfreundschaft genießen.
    Herleva sah zu, wie ihr ältester Schützling, die 12-jährige Eleanor, sich widerwillig mit ihrer Näharbeit abmühte. Das Mädchen hielt das Altartuch, an dem es arbeitete, hoch, betrachtete es voller Abscheu und begann langsam, die Stiche, die es soeben gemacht hatte, zu entfernen. Nein, es würde nie ob seiner Fähigkeiten mit der Nadel gelobt werden oder irgendeiner anderen hausfraulichen Tugend wegen. Nun, der Herr, der Wert darauf legte, würde ohnehin ein Ausnahmefall sein, denn Eleanor de Nantes war bereits ihrer Schönheit wegen sehr berühmt. Sie hatte nicht diese Unbeholfenheit, die man so oft bei anderen Mädchen dieses Alters beobachten konnte. Mit ihrem langen dunklen Haar, das ihr in dichter Fülle bis zur schmalen Taille reichte, ihrer hellen, reinen, gesund geröteten Haut und ihren von vollen schwarzen Wimpern umgebenen braunen Augen bot sie einen so hübschen Anblick, wie Fleisch und Blut ihn nur ergeben konnten. Mit zwölf Jahren war sie klein und zierlich gewachsen, doch ihre jungen Brüste hoben sich bereits unter dem schweren, mit Gold- und Silberfäden durchwirkten Seidenstoff ihres purpurfarbenen Gewandes ab. Es hieß, Graf Gilbert habe bald vor, Eheverhandlungen für sie zu führen, und die Bediensteten der Burg hofften, dass ihre Demoiselle irgendwo hinziehen würde, wo man sie mehr schätzte.
    Ein milder Fluch entrang sich den Lippen des Mädchens, als es die Arbeit hinwarf.
    Abrupt stand es auf und begann, ungeduldig auf dem schmalen Plattenweg auf und ab zu gehen.
    „Demoiselle!" Herlevas erhobene Stimme hatte tadelnd geklungen.
    „Mir ist es gleich", murmelte Eleanor aufsässig. „Es ist leicht, jemanden zu schelten, wenn man gut nähen kann. Ich mache nur einen Haufen Knoten, die dem Altar Gottes anzubieten ich mich schämen müsste." Mit dem in einem niedlichen Lederschuh steckenden Fuß versetzte sie dem zerknitterten Tuch einen Tritt.
    „Kind, möchtest du, dass man sagt, ich hätte dich nichts gelehrt?" fragte Herleva ruhig.
    „Nein, aber ich kann nicht sein, was du aus mir machen möchtest." Das Mädchen schaute sehnsüchtig auf die hohe Mauer, von der sie und die Amme umgeben waren. „Ich wäre lieber eine Bäuerin, die da draußen das Fest sieht, schmeckt und fühlt. Stattdessen sitze ich hier und löse schlechte Stiche, und so geht das immer weiter." Eleanor schlang die Arme um sich. „Wie kommt es, dass niemand außer Roger das versteht?"
    Die alte Amme seufzte mitfühlend. „Du kannst ihm nicht länger überallhin folgen, Demoiselle. Es wird bald an der Zeit sein, dich darauf vorzubereiten, die Gattin eines edlen Herrn zu sein." Sie bückte sich und hob das fallen gelassene Tuch auf. „Hier!
    So schlimm kann es nicht sein. Lass uns gemeinsam daran arbeiten." Nähere Begutachtung veranlasste sie, den Kopf zu schütteln.
    „Siehst du! Selbst du, die mich von Herzen mag, musst zugeben, dass es hoffnungslos ist."
    „Lass mich mal sehen", piepste die zehnjährige Margaret. „Wenngleich ich weiß, dass meins besser ist."
    Herleva hielt das Tuch hinter sich. „Und was dich betrifft, kleine Margaret, musst du wissen, dass man nicht nur eine Dame ist, wenn man nähen kann", wies sie das jüngere Mädchen zurecht.
    „Ich verbringe meine Zeit zumindest nicht im Hof mit einem unehelichen Stalljungen", erwiderte das Kind. „Maman sagt, Damen würden Stalljungen nicht hinterherrennen."
    „Er ist kein Stalljunge! Schäme
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