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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen
Autoren: Daniela Matijevic
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Angst ist wie ein Zeuge Jehovas.
Sie kommt ungebeten,
bleibt länger, als du es ertragen kannst,
und raubt dir den letzten Nerv.
    Prolog
    Autoreifen. Die Luft ist durchdrungen von dem Geruch nach Autoreifen. Sinne raubend, alles betäubend und überdeckend. Die Hitze zerrt an meinen ohnehin schon zum Zerreißen gespannten Nerven und lässt sie, in der Erwartung des Schlimmsten, ungeduldig vibrieren.
    »Hier! Ich hab was gefunden!«
    Eine Pause entsteht, dann presst mein Kamerad hervor: »Oh mein Gott!«
    Ein kurzer Moment der Stille. Dann höre ich, wie er sich geräuschvoll übergibt.
    Meine Sinne, meine Vernunft, meine Angst, alles warnt mich, nicht weiterzugehen. Hormone fluten meinen Körper, der Drang zu fliehen wird übermächtig - gleichzeitig zwingt mich etwas, mich dem Ort des Schreckens zu nähern. Ich werde fast zerrissen von einer perversen Ambivalenz, die von uns Besitz ergreift, wenn wir etwa auf der Autobahn an einem schweren Unfall vorbeifahren: Man will eigentlich gar nicht hinschauen, kann
den Blick aber nicht abwenden, und am Ende muss man dem Grauen ins Gesicht sehen …
    Langsam, fast automatisch, schiebt sich ein Fuß vor den anderen. Ich habe den Blick auf den Boden gerichtet, mein Puls rast, im Nu ist mein Rücken schweißnass - die Angst rinnt, zu Schweiß verdichtet, die Wirbelsäule hinunter.
    Immer noch würgt mein Kamerad und erbricht sich. Ich versuche ihn zu ignorieren, meine ganze Umgebung auszublenden, alle Geräusche. Ich konzentriere mich ganz darauf, die geschätzten zehn Meter bis zu der Holztür, hinter der offenbar das Unheil lauert, unfallfrei zu überwinden.
    Autoreifen. Es stinkt nach Autoreifen.
    Als ich den Blick hebe, stehe ich vor einem halbverfallenen alten Stall, dessen Holz stark verwittert ist. An den Wänden fehlen mehrere Bretter. Das Dach sieht aus, als könnte es Wind und Wetter schon lange nicht mehr trotzen. Dem Geruch nach zu urteilen, müssen hier irgendwann einmal Schweine gehalten worden sein. Die kleine Holztür, völlig verrußt und verzogen, hängt schief in den Angeln. Langsam gehe ich darauf zu.
    Ich gehe mit Mühe, denn eine unsichtbare Macht zerrt mit aller Gewalt an mir, zieht mich sogar zurück. Es scheint fast, als wäre mein Körper an Seilen befestigt. Will mich etwas davon abhalten, weiterzugehen?
    Doch keine Macht vermag mich aufzuhalten. Ich muss mit eigenen Augen sehen, was in diesem kleinen Stall geschehen ist.
    Der Geruch nach verbrannten Autoreifen ist jetzt geradezu überwältigend. Langsam beuge ich den Kopf, um ungehindert in das Innere des Stalles schauen zu können. Nach dem gleißenden Tageslicht haben meine Augen Schwierigkeiten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Was ich aber dann wahrnehme, sprengt meine Vorstellungskraft.

    Es müssen Menschen sein, die da vor mir liegen oder sitzen - bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Allein ihre Größe und Körperhaltung lassen erahnen, dass es Frauen und Kinder gewesen sein müssen, bevor sie das Feuer bei lebendigem Leib erfasste.
    Dies dürften wohl die restlichen Familienmitglieder sein, geht mir durch den Kopf, denn die Männer des Hauses haben wir bei unserer Ankunft im Hinterhof vorgefunden. Sie waren erschossen worden.
    Die Täter müssen Brandbeschleuniger über die Menschen geschüttet haben, dessen Geruch sich deutlich abhebt von jenem des verbrannten Menschenfleisches oder dem der Autoreifen. Aber das hat ihnen offenbar noch nicht gereicht. Um die Qualen der Menschen im lodernden Feuer zu steigern, haben sie Autoreifen auf die Frauen und Kinder geworfen - so wurde der Kampf mit dem Tod tatsächlich zur Hölle.
    Fassungslos stehe ich vor dieser Szenerie und weiß nicht, welchem Impuls ich zuerst nachgeben soll. Mein Magen will es dem des Kameraden gleichtun und mein Frühstück im Gebüsch vor dem Stall loswerden, während meine Beine für sofortige, unwiderrufliche Flucht plädieren. Mein Kopf dagegen, und leider soll er das Sagen haben, kann den Blick nicht von dem Grauen abwenden. Wie zur Salzsäule erstarrt, stehe ich im Türrahmen des Stalls, während meine Augen pausenlos von einem ehemaligen menschlichen Wesen zum anderen wandern. Sie erfassen jedes Detail … nehmen jeden Körper wahr … verinnerlichen alles …
    Plötzlich höre ich Gezwitscher. Und sehe Vögel, gewöhnliche Vögel, die an diesem sonnigen Tag im Kosovo, irgendwo zwischen Prizren und Wahnsinn, um die Wette singen.

    Schreiend erwache ich.
    Welch ein Alptraum!
    Im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich
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