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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition)
Autoren: Megan Crewe
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Symptome
    2. September
    Leo,
    es ist jetzt ungefähr sechs Stunden her, dass du die Insel verlassen hast. So wie die Dinge gelaufen sind, hättest du bestimmt nicht gedacht, dass ich komme, um dich zu verabschieden, aber ich muss dauernd daran denken, wie du vor fünf Jahren am Kai gestanden und gewunken hast, als ich nach Toronto abgereist bin.
    Während die Fähre dich aufs Festland brachte, war ich mit Mackenzie und Rachel am West Beach. Mackenzie hatte beschlossen, dass wir ein letztes Mal schwimmen sollten, bevor morgen die Schule wieder anfängt, aber der Wind war so kühl, dass doch keine von uns Lust hatte, ins Wasser zu gehen. Also sind wir nur auf dem Sand spazieren gegangen und haben uns unterhalten und spekuliert, wie das elfte Schuljahr wohl laufen wird.
    Die Sommerurlauber sind alle weg, so dass außer uns und ein paar Familien, die hinten bei den Felsen gegrillt haben, niemand am Strand war. Ich konnte den weißen Umriss der Fähre erkennen, der immer kleiner wurde, während sie übers Meer fuhr, und der Knoten in meinem Bauch zog sich immer fester.
    Mackenzie fing an, von ihrem »Supersommer« in L.A. zu schwärmen und von den coolen Nachtclubs, in die sie reingekommen war, und Rachel und ich haben wie immer die meiste Zeit an den passenden Stellen genickt. Nicht, dass es mir was ausmacht. Einmal hat Mackenzie sich dann zu mir umgedreht und gesagt: »Die großen Clubs in der Stadt sind doch die besten, stimmt’s Kaelyn?«, und alles, was ich antworten konnte, war: »Ähm, ich glaub schon«, weil ich in Toronto eigentlich nie in Clubs gegangen bin.
    Wenn sie wüsste, dass ich dort die meiste Zeit im Zoo oder in der Tierklinik bei uns um die Ecke verbracht habe, nicht auf Partys oder beim Shoppen, dann hätte sie sich mit ziemlicher Sicherheit nicht gleich wie eine Klette an mich gehängt, kaum dass wir letztes Frühjahr wieder hergezogen waren. Aber ich habe mir auch nicht die Mühe gemacht, sie aufzuklären. Es ist schön, jemanden zu haben, der auf diese Weise mit einem die Zeit verbringt, auch wenn es irgendwie unter Vortäuschung falscher Tatsachen ist. In der Stadt war ich so fixiert darauf, alleine zurechtzukommen, dass mir gar nicht aufgefallen ist, wie sehr ich es vermisst habe, mit Freunden zusammen zu sein.
    Und erst heute ist mir klargeworden, wie sehr ich dich vermisst habe.
    Als die Fähre außer Sichtweite war, begannen wir in der Gischt der Wellen zu frieren. Wir gingen hinauf zu dem Grasstreifen an der Straße, und Mackenzie wäre beinahe auf einen toten Vogel getreten. Sie schrie auf, hopste durch die Gegend und schüttelte dabei ihren Fuß, als wären irgendwelche Bazillen draufgesprungen. Rachel konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
    Der Vogel war eine Mantelmöwe, die ganz gesund aussah – abgesehen davon, dass sie tot war, natürlich. Sie hatte glänzende Federn, und ich konnte keine Verletzung entdecken. Echt seltsam, wie sie dalag, als wäre sie einfach so vom Himmel gefallen. Ich hätte gern einen Stock geholt und das tote Tier umgedreht, um es mir genauer anzusehen, aber dann wäre Mackenzie total ausgeflippt.
    Du hättest sicher nichts dagegen gehabt, Leo. Wäre ich mit dir am Strand entlanggelaufen, so wie früher, hättest du mir dabei zugesehen, wie ich die Möwe untersuche, und gefragt: »Weißt du, woran sie gestorben ist?«. Und du hättest es auch wirklich wissen wollen.
    Als ich da so stand und die Möwe betrachtete, während Mackenzie mit dem Fuß zappelte und Rachel lachte, traf es mich so schlimm wie noch nie. Wie dumm ich doch war, einfach so zuzulassen, dass ein kleiner Streit alles zwischen uns kaputtmacht. Solange ich denken kann, warst du mein bester Freund, und jetzt ist es schon fast zwei Jahre her, dass ich das letzte Mal mit dir gesprochen habe.
    Nach einer Weile hörte Rachel auf zu lachen und sagte, sie müsse jetzt los. Seit ihr Dad sich letzte Woche bei der Arbeit auf dem Fischkutter das Bein gebrochen hat, nervt ihre Mom sie damit, öfter zu Hause zu bleiben. Wir verabredeten uns noch für morgen in der Cafeteria, um unsere Stundenpläne zu vergleichen, dann gingen wir zurück in die Stadt.
    Ich ging aber nicht auf direktem Weg nach Hause. Nachdem Rachel und Mackenzie weg waren, schlenderte ich an den Fischgründen vorbei den kleinen Fußweg hinauf, der durch die Kiefern zu der Klippe führt, wo die Kormorane nisten. Da oben ist es so schön friedlich. Wenn ich an der Felskante stehe, aufs Meer hinausblicke, der kühle Wind über mich
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