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Dunkle Beruehrung

Dunkle Beruehrung

Titel: Dunkle Beruehrung
Autoren: Lynn Viehl
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Antiquitäten-Auktion, New York
    Los 17 – Sammlung Olivia Kelly
    Schriftrollenetui (Bronze) in Form einer Göttin mit intakter Papyrusrolle. Römisches Kaiserreich, Augusteisches Zeitalter (30 v.Chr.–14 n.Chr.). Höhe: 17,8 cm.
    Schätzwert: 600000–900000 US-Dollar
    Beschreibung des Etuis:
    Das Gewicht auf dem linken Bein, steht die Göttin Minerva mit nach rechts gewandtem Kopf und in die Hüften gestützten Händen da. Über einem leichten, am Körper anliegenden Chiton trägt sie einen langen, schweren Peplos, beides an der rechten Schulter zusammengehalten und von dort in leichten Wellen an ihrer linken Körperseite herunterhängend. Fein gearbeitetes Gesicht mit schmaler Nase, vollen Lippen, eng zusammenstehenden Augen und versenkten Pupillen. Mittelgescheiteltes, glattes Haar, mit Federn und Pfeilen zu einer Krone gewoben.
    Die eng auf Latein beschriebene Papyrusrolle,
Übersetzung:
    Gaius Maelius Tanicus entbietet Nero Claudius Germanikus, seinem Freund und Schwertbruder, herzliche Grüße.
    Vor allen Göttern bete ich für Eure Gesundheit und Sicherheit und wünsche Eurer Mutter, ihren Kindern und Eurer Familie alles Gute. Vergebt den seltsamen Weg, auf dem ich Euch diese Nachricht zukommen lasse, aber ich wage es nicht, unseren Kurieren zu trauen. Vernehmt, dass ich an den Nonae des Septembers gesund im Lager eingetroffen bin und meinen Posten als Präfekt angetreten habe.
    Ich habe festgestellt, dass derjenige, der im Dienste unserer Feinde, der Cherusker, steht, sich bereits seit der Schneeschmelze hier im Lager aufhält, doch bis heute habe ich seine Identität nicht ermittelt. Aufgrund von kopierten Schriftrollen, Morden unter den Soldaten und umgelenkten Märschen vermute ich aber, dass er einer der Kuriere ist, die im letzten Winter aus Judäa hergesandt wurden. Nicht wenige haben das Lager seit meiner Ankunft verlassen, manche hastig, und alle reisen in die Lager im Süden. Unter ihnen – davon bin ich überzeugt – verbirgt sich der Verräter.
    Morgen reise ich in die Wälder nahe der Berge, wo die Cherusker sich mit unseren Grenzlegionen Gefechte geliefert haben. Viele wurden gefangen, und von ihnen werde ich seinen Namen erfahren. Wann immer ich einen vertrauenswürdigen Boten finde, werde ich Euch von meinen Fortschritten und – wie ich bete – von meinem baldigen Sieg Bericht erstatten.
    Schließt mich in Eure Gebete ein, Bruder, wie ich es stets auch mit Euch tue.
    [Siegel des] Tanicus
    29. September 2008
    In den kühlen, ruhigen Büroräumen des Auktionshauses Finley kümmerten sich die Angestellten um die zahllosen Aufgaben, die mit der Beschaffung, der Prüfung und dem Verkauf rarer und teurer Antiquitäten aus aller Welt verbunden waren. Kunden verglichen die Atmosphäre mit der eines Gotteshauses, in dem die Stimmen – von den wöchentlichen Gottesdiensten abgesehen – nur selten lauter als ein Murmeln waren. Anderen waren die Stille, das Halblicht und die verstaubten Altertümer eher gleichgültig, die, verpackt in Stroh und Leinen, ankamen. Die Andacht, mit der die Angestellten der Arbeit nachgingen, war offenkundig, doch einige empfanden geradezu ein Übermaß an Ehrfurcht – als wären die kostbaren Dinge, mit denen sie zu tun hatten, hochheilige Symbole einer heidnischen Privatreligion.
    »Tut mir leid, Sir«, sagte Harris Finley, der Besitzer des Auktionshauses, ins Telefon und überflog dabei seine Unterlagen zur Minerva-Schriftrolle, »aber dieses Objekt ist bereits versteigert.« Er hörte zu. »Nein, Sir, über den Käufer weiß ich nichts. Er hat es durch einen Dritten erworben und mit einem Bankscheck bezahlt. Darf ich fragen –« Er verstummte, zuckte zusammen und drehte den Hörer von sich weg, ehe er auflegte. »So ein Dummkopf.«
    »Gibt’s ein Problem, Mr Finley?«, fragte Jean, seine junge Assistentin.
    »Wer eine Auktion verpasst hat, ist immer schlecht gelaunt, meine Beste – vor allem, wenn er sehr reich und nicht daran gewöhnt ist, einen Wunsch abgeschlagen zu bekommen.« Er überflog die Unterlagen erneut. »Aber diesmal muss er seine Niederlage eben mit Würde akzeptieren.«
    Jean runzelte die Stirn. »Von wem sprechen Sie, Sir?«
    »Von Mr Genaro.« Finley warf ihr einen betrübten Blick zu. »Sieht so aus, als hätte er letzte Woche keine Vorschau auf die heutige Auktion bekommen.«
    Jetzt fuhr die Assistentin zusammen. »Oh nein! Ich dachte, ich hätte allen eine Mail geschickt.«
    »Keine Sorge. So was passiert, meine Beste, selbst dem
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