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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II.
Autoren: C.H.Beck
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Vorwort
    Es ist nicht allzulange her, da galt Wilhelm II. noch als Unperson. Der Monarch, der dreißig Jahre lang (von 1888 bis 1918) als Deutscher Kaiser, König von Preußen und Oberster Kriegsherr das mächtige preußisch-deutsche Kaiserreich im Herzen Europas regierte, wurde von den deutschen Fachhistorikern übergangen. Keiner von ihnen hatte sich mit diesem schillernden, machtbewußten und überall Anstoß erregenden Herrscher ernsthaft befaßt, der 1890 den Reichsgründer Fürst Bismarck entließ, eine Riesenflotte gegen England aufbaute und 1914 sein blühendes Reich in den Ersten Weltkrieg führte. Man muß kein Sherlock Holmes sein, um diesem eklatanten Versäumnis auf den Grund zu kommen: Wie das verräterische Schweigen in dem Detektivroman
Der Hund von Baskerville
war die Tabuisierung Wilhelms II. in der Weimarer Republik und der Nazizeit Ausdruck jener Kampagne der vaterländischen Geschichtsschreibung zur Zurückweisung der «Kriegsschuldlüge» von Versailles. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich unser Verständnis dafür, wie Kaiser Wilhelm in der deutschen Geschichte einzuordnen sei, jedoch gründlich verändert. Seine Persönlichkeit, seine Weltanschauung, seine autokratische Herrschaftsmethode und seine Schlachtflotten- und Weltmachtpolitik stehen heute im Mittelpunkt einer lebhaften Auseinandersetzung über Kontinuitäten und Brüche in der Geschichte des ersten deutschen Nationalstaates von 1871 bis 1945. Quellengesättigte Biographien, tausendseitige Dokumentenbände, wissenschaftliche Ausgaben seiner Reden, Monographien über sein Verhältnis zu Militär, Religion, Kunst, Wissenschaft, Film, zur technisch-industriellen Welt sowie psychologische und kulturanthropologische Untersuchungen zu seinem Freundeskreis beziehungsweise zum skandalumwitterten Hohenzollernhof – all das ist inzwischen genau erarbeitet worden. Gewiß bleibt noch einigeszu tun – die russischen und französischen Archive zum Beispiel sind kaum ausgewertet worden – und gewiß bleibt das Gesamturteil weiterhin umstritten. Wer allerdings ehrlich nach der Wahrheit sucht, statt althergebrachten Wunschbildern nachzutrauern, der wird den Deutungsspielraum durch die erwiesenen Tatsachen stark eingeengt vorfinden. In diesem Band soll der Versuch gemacht werden, unser Wissen über den letzten deutschen Kaiser auf der Grundlage moderner Forschungsergebnisse zusammenzufassen. Das Bild, das sich daraus ergibt, hat sich um mehrere Schattierungen verdunkelt.

Überblick: Wilhelm der Letzte, ein deutsches Trauma
    Kaiser Wilhelm II. wurde am 27. Januar 1859 in Berlin geboren und starb am 4. Juni 1941 im Alter von 82 Jahren im holländischen Exil. Chronologisch deckt sich sein Leben also fast genau mit dem Aufstieg und Zusammenbruch des ersten deutschen Nationalstaates, den Bismarck durch die drei Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 gründete und der in der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges sein jähes Ende fand. Wilhelm II. war alles andere als ein stiller Zuschauer der gewaltigen Ereignisse seiner Zeit. Von seiner Thronbesteigung im sogenannten Dreikaiserjahr 1888 bis zu seiner Abdankung und Flucht nach Holland am 9. November 1918 regierte er nicht nur als Repräsentationsfigur, sondern auf sehr direkte und persönliche Weise das Deutsche Reich und dessen Hegemonialstaat, die mächtige Militärmonarchie Preußen.
    Freilich, Wilhelm war kein Diktator. Er mußte sich mit dem jeweiligen Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten, mit den preußischen Staatsministern und den Staatssekretären der Reichsämter, mit dem Reichstag und dem preußischen Landtag sowie mit den verbündeten Regierungen der übrigen deutschen Königreiche, Großherzogtümer, Herzogtümer undFreien Städte arrangieren. Zunehmend schränkte auch die Öffentlichkeit in Gestalt von politischen Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Interessenverbänden, Pamphleten, Pressekritik und Volksdemonstrationen bis zu einem gewissen Grad seinen persönlichen Einfluß ein. Aber im Zentrum der Macht, und erst recht in der Personal-, Militär-, Außen- und Rüstungspolitik, bestimmte Kaiser Wilhelm bis zum Kriegsentschluß 1914 – eine Entscheidung, an der er maßgeblich beteiligt war – ganz wesentlich den Lauf der Dinge. Zwar geriet er während des Ersten Weltkriegs zunehmend in den Schatten der Generäle, doch selbst dann behielt er in allen wichtigen Fragen das letzte Wort.
    Die Grundlage seiner starken Machtstellung erbte der gerade erst 29jährige
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