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Dunkle Beruehrung

Dunkle Beruehrung

Titel: Dunkle Beruehrung
Autoren: Lynn Viehl
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ihrer Schulzeit geschickt hatte.
    Diese Brosche mochte meine Mutter am liebsten
, hatte Darien dazugeschrieben.
Wenn du sie zerbrichst oder verlierst, gebe ich dich wieder zur Adoption frei.
    Vor einundzwanzig Jahren hatten alle Klatschmäuler der Stadt darüber hergezogen, dass Darien – ein überzeugter Junggeselle mittleren Alters – die Unverschämtheit besessen hatte, ein noch ganz kleines Mädchen zu adoptieren. Zu jener Zeit waren alle noch unverheirateten Damen von Savannah empört darüber gewesen, wie säuberlich er den üblichen Weg, Kinder zu bekommen – nämlich eine Heirat mit einer von ihnen –, umgangen hatte, während ihre Eltern halblaut düstere Bemerkungen darüber getauscht hatten, wie ungehörig und respektlos es von ihm sei, das unerwünschte Gör irgendwelcher Penner aufzunehmen. Man brachte einfach kein namenloses Waisenkind nach Hause und behandelte es, als gehörte es zur Familie – dafür gab es schließlich Kinderheime. Nach dem Schauspiel von Mins Taufe in der Johanneskirche, bei dem Darien erklärt hatte, er gebe Min nicht nur seinen berühmten Nachnamen, sondern mache sie auch zu seiner Alleinerbin, hatten seine Freunde ihm öffentlich gratuliert und hinter vorgehaltener Hand das Ende einer der ältesten Familien von Savannah beklagt.
    Darien war es stets gleichgültig gewesen, was die Leute dachten. »Ich hatte als Jugendlicher Mumps und bin seitdem unfruchtbar« – das war seine Antwort auf Mins Frage, warum er sie adoptiert habe. »Ich glaube, so hat Gott mich davor bewahrt, mich seit dreißig Jahren in meinem Haus mit einer sich in alles einmischenden Frau arrangieren zu müssen.«
    »Aber ich bin eine Frau«, rief Min ihm ins Gedächtnis.
    Darien lächelte geheimnisvoll. »Oh, eines Tages wirst du noch viel mehr sein, Schatz.« Er lachte. »Außerdem warst du nur ein winziges Etwas. Als ich dich im Waisenhaus das erste Mal sah, dachte ich: Das ist ein Mädchen, dem ich beibringen kann, meinen Unsinn zu ertragen.«
    Min verließ das Haus um Viertel nach acht. Von der Abercorn Street konnte sie bequem zu Fuß zum Gebäude der Oglethorpe Consolidated Investments nahe der Bay Street gelangen, und das war ein Hauptgrund, warum sie die Arbeit als Vorzimmerdame und persönliche Assistentin von Boyd Whitemarsh angenommen hatte. Der andere, persönlichere Grund hatte mit ihrem festen Willen zu tun, ihr Erbe zu erhalten.
    Sapphire House war für den ersten Darien entworfen und errichtet worden, einen Baumwollhändler und Gelegenheitsschmuggler, der im frühen 18. Jahrhundert ein gewaltiges Vermögen angehäuft und sich oft gerühmt hatte, mehr Geld zu besitzen als Geschmack und Verstand. Zum Glück hatte er einen Architekten beauftragt, der nach Savannah gekommen war, um seine Schwester zu verheiraten. William Jays Bauwerke würden eines Tages die Eleganz und Anmut jenes Zeitalters verkörpern, doch als er dem ersten Darien begegnete, war er bloß ein fröhlich-ungestümer junger Mann, der sich in der Neuen Welt einen Namen machen wollte.
    Mit Dariens unerschöpflichen Taschen und unbegrenztem Vertrauen entwarf Jay ein großzügiges Anwesen mit drei Obergeschossen im Regency-Stil und führte in den folgenden drei Jahren persönlich die Bauaufsicht. Um der elsterhaften Begeisterung des Bauherrn für alles Glitzernde zu huldigen, hatte Jay für jedes Zimmer einen riesigen Bleikristalllüster bestellt und ganze Schiffsladungen funkelnd weißen Sandes von Tybee Island herbeischaffen und unter Stuckmörtel und Gips mengen lassen.
    Kaum war der erste Darien eingezogen, kursierten schon Geschichten über das Gebäude. Man hatte Leute durch die Hintertür eintreten, das Haus aber nie mehr verlassen sehen, und es hatte in tiefster Nacht geheimnisvolle Lieferungen gegeben, besorgt von Männern mit mürrischen Gesichtern, die Planwagen kutschierten. Auf das seltsame Kommen und Gehen angesprochen, lächelte Darien nur und wechselte das Thema.
    Als Baudenkmal und Privathaus kostete das Anwesen enorm viel Unterhalt, und die finanzielle Belastung hatte das bescheidene Vermögen des letzten Darien stetig schrumpfen lassen. Doch Min war im Schatten der Johannes dem Täufer geweihten Kathedrale groß geworden und ging die mit grauen Ziegeln gepflasterten Straßen entlang. Aus diesen Ziegeln waren auch die alten Bauten der Stadt errichtet, aus von Sklavenhand zu Steinen geformtem Flussschlamm. Jedes schmiedeeiserne Balkongeländer, jede Tordurchfahrt war die personifizierte Geschichte und beobachtete
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