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Titel: wsmt
Autoren: Unknown
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Wahrscheinlich hat er sich, selbst
wenn er dies dem Leser verschweigt, im Vorübergehen in der Markthalle St.
Quentin an der Ecke auch mal ein paar Austern gegönnt.
     
    Bevor
ich auf dem Weg zu Mados Agentur Interstar in die Rue Faubourg du St. Denis
einbiege, werfe ich noch einen Blick auf die Cour de la Ferme St. Lazare. Das
St. Lazare-Hospital hat eine aufregende Geschichte. In früheren Jahrhunderten
wurden dort Lepra-Kranke gepflegt. Später hat man dort Priester ausgebildet und
Geisteskranke untergebracht. Wobei selbst wagemutige Geschichtsinterpreten sich
schwertun, Zusammenhänge herzustellen.
    Am
Vorabend der großen Revolution von 1789 stürmte eine aufgebrachte Menge das
Haus, in dem sie ein umfangreiches Waffenlager vermutet hatte. Eine Bibliothek
mit 20000 Bänden und eine wertvolle Bildersammlung von 150 Gemälden wurden
dabei ein Raub der Flammen. In der Folge war das Haus ein Frauengefängnis und
Heimstatt für geschlechtskranke Prostituierte, bis es dann wieder als Klinik
diente.
    Das
überaus lebendige Viertel, das sich von dort zum Bou levard St. Denis hinunterzieht,
kennt viele Straßen und Passagen mit wohlklingenden und vielversprechenden
Namen. Die Passage du Désir zum Beispiel, die Passage der Sehnsucht, feinsinnig
von Léo Malet zur Adresse des Fanclubs von Gil Andréa bestimmt. Oder die Rue de
la Fidélité, die Straße der Treue, in der die von Gil so schnöde ins Abseits
gestellte Clara Nox ihre Wohnung hatte. Das Fideliokino, Abspielstätte
vornehmlich arabischer Filme, gibt es längst nicht mehr. Die Straße der Treue
führt geradewegs in die Paradiesstraße, die Victor Hugo in schmeichelhafter
Übertreibung eine Straße nannte, die den richtigen Namen trägt. Oder hat Victor
Hugo bereits das Einkaufs-Paradies vorausgeahnt, das sich dort heute auftut?
Alle namhaften Glas- und Porzellan-Manufakturen, vor allem aus Lothringen und
dem Limousin, haben dort ihre Niederlassungen. Man findet dort auch ein
Kristall-Museum und in einem traumhaft schönen Haus aus der Belle Epoque ist
ein weiteres Museum eingerichtet worden, das Musée de l’Affiche, in dem
Liebhaber alter Plakate auf ihre Kosten kommen.

    Léo Malet mag viel Spaß an
diesen Wortspielen gefunden haben und er malt denn auch ein sinnlich-sinnhaftes
Sinnbild in grellen Farben auf, wenn er all das in einen thematischen
Zusammenhang stellt. Das rüde Geschäft mit dem Mädchenhandel des unehrenwerten
Monsieur Gauri in der Passage de l’industrie (in der sich heute übrigens die
Pariser Perückenmacher eingenistet haben), das Herzflimmern der Gil
Andréa-Verehrerinnen in der Passage der Sehnsucht, die schmählich verlassene
Clara Nox in der Rue de la Fidélité, der Straße der Treue, Clara, die sich
alternd und rachsüchtig in ihre Wohnung gegenüber dem Fidelio(!)-Kino
einkerkert und dem Suff ergibt und doch nur die Straße überqueren muß, um in
die Rue de Paradis, in die Paradies-Straße zu gelangen; dort, wo vorbei an all
dem Glitzerwerk aus Kristallglas der Weg zur Glanz- und Glimmeragentur
Interstar der Madeleine Souldre führt, die sich — wie sonst! — gern Mado nennen
läßt...“

    Der heilige Martin, der
Schutzpatron des 10. Arrondissements, mag schamhaft den zerteilten Mantel vor
die Augen führen bei soviel tragikomischem Schmierentheater, das sich da
in „seiner“ Gegend abspielt. Aber schon in den Zeiten vor der großen Revolution
galt der Boulevard St. Martin als der Boulevard de Crime. In den Theatersälen
am Rand des Boulevards wurden bevorzugt all die Schurkenstücke gespielt, die
das aggressive Klima der untergehenden königlichen Zeit bereits
widerspiegelten. Es ist die Gegend der Enfants du Paradis, der Kinder des
Olymp. Marcel Carné hat unter diesem Titel seinen wohl berühmtesten Film
gedreht. Diesen Bilderbogen der Pariser Theater-Gesellschaft aus dem 19.
Jahrhundert, mit Jean-Louis Barrault, Pierre Brasseur und der bezaubernden
Arletty in den Hauptrollen.
    Balzac
hat im legendären Theater an der Porte St. Martin seinen „Vautrin“ uraufführen
lassen. Ein Riesenskandal, weil der Hauptdarsteller die gleiche Haartracht trug
wie der König, der das Stück prompt absetzen ließ. Später wurde in diesem
Theater der Pantomime Marcel Marceau heimisch. Heute hat der Spielplan im
Theater am Boulevard vor allem Boulevard-Stücke aufgenommen.
    Gleich
um die Ecke das Renaissance-Theater, vormals Théâtre Sarah Bernhardt, die dort
häufig auf der Bühne stand.
    Die
Porte St. Martin, der Triumphbogen, steht
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