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Titel: wsmt
Autoren: Unknown
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seit 1674 an dieser Stelle. Ebenso
wie die Porte St. Denis, auf der anderen Seite des Boulevard de Strasbourg,
erinnern die beiden Tore die Siege des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Der glorreiche
Ludwig hatte damals die deutschen und spanischen und holländischen Armeen das
Fürchten gelehrt und bei der Gelegenheit auch die Franche-Comté dem Königshaus
einverleibt. Das war allemal zwei Triumphbögen wert. Aber so wie die vielen
kleinen Straßen und Gassen und Passagen, als seien sie — Ordnung muß wohl sein
— jeweils einer Zunft zugeordnet, mal Zentrum der Prozellan- und
Kristallgeschäfte sind, wie die Rue de Paradis (es gibt übrigens auch eine
Passage der Hölle, aber die liegt auf der anderen, der linken Seite der Seine;
passenderweise am Rande eines Friedhofs), mal Hochburg des Pelzhandels in der
Rue d’Hauteville — die schöne Mado hatte sich im Winkel beider Straßen
eingerichtet — , mal Sammelpunkt der Coiffeure und Perückenmacher wie in der
Passage de d’lndustrie, so haben sich im Umfeld des Boulevard St. Martin die
Theater gruppiert; Das Théâtre Antoine, das Gymnase, die ehemalige Scala, das Concert
Mayol, in dem Maurice Chevalier seine ersten Erfolge feierte. Das Eldorado wäre
noch zu nennen, auf dem Boulevard de Strasbourg, ein schmuckloser
Gebäude-Komplex, in dem neuerdings das Bobino untergebracht ist, das
seinerseits sein Zuhause eigentlich in der Rue de la Gaîté hat, der Straße der
Fröhlichkeit, unweit des Montparnasse, nun aber — Renovierung tut Not —
vorübergehend ausgesiedelt wurde. Das Bobino war und ist Treffpunkt der
aufleuchtenden und der verblassenden Sterne, derer, die noch nicht oder nicht
mehr im Zenit ihres Könnens stehen.

    Gil
Andréa glänzte nach dem Willen Léo Malets im Palais de Cristal, im
Kristall-Palast; auch das wohl eine Anspielung an die Rue de Paradis, in der
Mado alle Fäden zog, bevor sie — des Sängers Fluch — der Eifersucht der
alternden Clara zum Opfer fiel. All die Cafés, in denen Nestor Burma die Zeit
totschlug, gibt es heute nicht mehr oder aber sie tragen einen anderen Namen.
Das Batifol, das Restaurant „Chien Vert“, der grüne Hund also, die „Chop des
Singes“.
    Aber
den Canal St. Martin — noch einmal muß der heilige Martin herhalten — , den
gibt es noch. Und auch das Hôtel du Nord, das wiederum René Clair unsterblich
gemacht hat. Derselbe René Clair, der die Kinder des Olymp auf die Leinwand
gebannt hat.
    Das
Hôtel du Nord ist eine kleine schäbige Absteige am Quai de Jemmapes, da, wo
Groß-Paris einen Platz für Klein-Amsterdam läßt. Der Kanal wurde Anfang des
vergangenen Jahrhunderts gebaut, um den Schiffen einen kürzeren Weg zur Seine
zu verschaffen. Glücklicherweise hat die erbarmungslose Stadtsanierung der
vergangenen Jahre die Schleusentore und die kleinen Brücken über den Kanal
ausgespart. Nur hier, im zehnten Stadtbezirk, wagt sich der Kanal ans
Tageslicht. Weiter südlich, im 11. Arrondissement, verbirgt er sich unter dem
Boulevard Jules Ferry und dem Boulevard Richard Lenoir. Am Quai de Jemmapes
also steht das Hôtel du Nord. Es sollte eigentlich längst abgerissen werden.
Aber dann wurde eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen, Marcel Carné selbst,
einer der letzten noch lebenden Regisseure der Kriegsund Vorkriegs-Ära
engagierte sich neben all denen, die diese längst heruntergekommene Herberge
wenigstens als eine Art Symbol des alten Paris gerettet wissen und den
nimmersatten Baulöwen die Zähne zeigen wollten. Mittlerweile, das letzte Wort
ist längst nicht gesprochen, zeichnet sich ein Kompromiß ab. Die Fassade
zumindest will man erhalten, die Kulisse also. Hinter dem regenverschmutzten
staubigen Fenster im Erdgeschoß war früher die Bar, in der sich die Matrosen,
die draußen am Quai ihren Kahn festgezurrt hatten, die Zuhälter und ihre
Mädchen getroffen hatten. Ein vergilbtes Szenenfoto aus dem Film klebt am
Fenster. Das armselige schmuddelige Hotel war in den 20er Jahren von einem
Monsieur Dabit gepachtet worden, einem Arbeiter, dessen Sohn Eugène das Haus in
den Mittelpunkt seines Romans gestellt hatte, der später preisgekrönt und zum
Vorbild des gleichnamigen Films von Carné wurde. Eugène Dabit durfte den Erfolg des Streifens
nicht mehr miterleben. Er starb, als er seinen Freund André Gide Mitte der 30er
Jahre auf eine Reise in die Sowjetunion begleitete, in Sebastopol an Scharlach.

    Léo
Malet hat seinem Nestor Burma den Weg zum idyllischen Canal St. Martin
gleichsam als
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