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Titel: wsmt
Autoren: Unknown
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nichts mit französischer Küche zu tun. Ist eben ein
Tourist-Menu.
    Ich
schlucke meinen Hunger runter und überquere den Platz an der Gare de l’Est, dem
Ostbahnhof. Es ist der Bahnhof, an dem die Reisenden aus Deutschland ankommen,
um mit dem Taxi schnell zum (hoffentlich) vorbestellten Hotel gefahren zu
werden.
    An
der Ecke der Gare de l’Est liegt die Avenue de Verdun und ein Café, das früher
wohl „Chez Paul“ hieß. Nicolss, der Schmierenkomödiant, was here. Das heißt:
Gerade nicht, als ihn Nestor Burma dort suchte.
    Die
Gare de l’Est ist ein Bahnhof der bösen Erinnerungen. Von dort fuhren die Züge
in Richtung Osten. In Richtung Tod. Wie stand ihnen Tod — den Zehntausenden von
Soldaten, die sich von ihren Müttern und ihren Bräuten damals verab schiedeten, als sie an die
Front gerufen wurden? Ein Vierteljahrhundert später schon wieder. Auch Sartre
war dabei. Simone de Beauvoir hat ihn bis zum Bahnsteig begleitet. In der
Eingangshalle hat man kürzlich — direkt über dem Fahrkarten-Verkaufsschalter —
ein nachgemaltes Bild vom Truppenabzug 1914 angebracht — pastellfarben, als sei
die Vergangenheit damit milder zu zeichnen.

     
    Gleich hinter dem Bahnhof
führen etwa 30 Stufen die Rue d’Alsace hinauf, die am nahegelegenen Nordbahnhof
mündet. Ein Clochard ist dort auf einer fleckigen Decke eingeschlafen. Wir
haben Hunger — steht auf einer mit Filzstift bemalten Papptafel. Wer ist wir?
Er und seine halbleere Rotweinflasche? Oder er und sein Hund, der ihm
davongelaufen ist?

    Die Rue d’Alsace ist eine
dieser so bahnhofstypisch tristen Seitenstraßen, in denen sich — nicht nur in
Paris — immer wieder Kneipen finden, wie die, in der die heruntergekommene
Sängerin Clara Nox ihren Kummer ertränkt hat — bevor sie Nestor Burma dort
ausfindig gemacht hat. Das Bistro an der Ecke Rue des deux Gares (zwischen den
beiden Bahnhöfen) gibt es noch immer. Ein fast schon verblichenes Schild
erinnert den vormaligen Namen: Le Mas. Clara Nox stammte aus dem Süden und Le
Mas ist ein südfranzösischer Ausdruck. Ein bißchen Heimat also. Exklave im
elsässischen Viertel. Zuletzt war dort ein Türke heimisch. Ürgül oder so. Jetzt
wird renoviert.

    Es sind nur ein paar Schritte
bis zum Nordbahnhof und von dort ist man gleich auf dem Boulevard de Magenta.
Es ist keiner dieser geschäftigen Boulevards aus der Haussmann-Ära, wie man sie
beispielsweise aus dem Opern-Viertel kennt. Die Schaufensterauslagen der Läden
sind auf den Alltag abgestimmt. Viele Möbelhändler haben sich dort
niedergelassen. Aber es sind oft Möbel, wie man sie in den billigen kleinen
Hotels wiederfindet, gerade hier im Bahnhofsviertel. Die Preise sind um bis zu
50 Prozent herabgesetzt, aber das wohl schon seit Jahren. Das Haus Gil Andréas
ist in der langgestreckten grauen Häuserzeile nicht auszumachen. Aber der
Blick, den Nestor Burma nach dem Finale Furioso vom Balkon aus hatte, der ist
leicht nachzuvollziehen. Im Norden die Metro auf der Brücke von Barbés — es ist
eine der wenigen Stellen in Paris, an der die Metro den Untergrund verläßt —
und hinter den Bahnhöfen verläuft der Faubourg St. Martin, parallel zum
gleichnamigen Kanal.
    Es ist ein Viertel, das zur eiligen
Abreise einlädt. Das mag an den Bahnhöfen liegen, aber auch an den ungastlichen
Seitenstraßen.
    „Keine großen Empfänge“ finden
hier statt — so hat André Beucler dieses Quartier beschrieben — „kein mondäner
Geltungsdrang ist spürbar. Die Poesie ist bitter und beißend. Schönheiten sind
selten. Das Wort ,Arbeit’ hat Vorrang“.
    Geschäftigkeit
vermittelt der Marché St. Quentin gleich neben dem Ostbahnhof. Da steht noch
eine richtige Markthalle aus Glas und Eisen, so eine, wie man sie vor 20 Jahren
noch im Hallen-Viertel fand. Da kann man an kalten Wintertagen noch ein Dutzend
Austern an Ort und Stelle verzehren, zusammen mit einem Glas kühlen Riesling,
das einem gleich nebenan ausgeschenkt wird. Und wenn man auf die Rue de Chabrol
hinaustritt, dann findet man dort noch zwei oder drei von diesen alten kleinen
Bistros, in denen an der Theke noch offener Wein serviert wird, randvoll, so
daß sich auf dem Tresen stets kleine Seenplatten bilden.
    Von
der anderen Seite des Marché St. Quentin gelangt man in die Rue des Petits
Hotels, die Straße der kleinen Hotels. Eine Straße, die sagt, was sie hat. In
einem dieser fast ein halbes Dutzend kleinen Hotels (dem „Brabant“ vielleicht?)
hat sich Nestor vorübergehend einquartiert.
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