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Traenen des Kummers, Traenen des Gluecks

Traenen des Kummers, Traenen des Gluecks

Titel: Traenen des Kummers, Traenen des Gluecks
Autoren: Carol Voss
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1. KAPITEL
    David Elliot, Hilfssheriff im Dane County, ignorierte das flaue Gefühl in seiner Magengegend, als er langsam durch die Maple Street an Nan Kramers Haus vorbeifuhr. Normalerweise brannte noch Licht, wenn er um diese Zeit hier vorbeikam, aber heute lag das Haus bereits im Dunkeln. Wie immer warf er einen prüfenden Blick auf das im Ranchstil gebaute Haus und auf das Grundstück, um sich zu vergewissern, ob auch alles in Ordnung war.
    Er dachte an die Familie, die jetzt in diesem Haus schlief. Er dachte an Nan. An ihr fröhliches Lachen und die mitreißende Lebensfreude, die sie einst besessen hatte. Ein dumpfer Schmerz machte sich in seinem Herzen breit, als er an sie und ihre drei vaterlosen Kinder dachte.
    Es hätte nie passieren dürfen.
    Erst als seine Hände schmerzten, wurde ihm bewusst, wie verkrampft er das Lenkrad hielt. Er lockerte den Griff und versuchte, die Erinnerung zu verdrängen.
    Es tat keinem gut, sich diese verhängnisvolle Nacht wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Nicht seinem toten Kollegen, nicht Nan und nicht den Kindern.
    Und schon gar nicht ihm selbst.
    Es war eine warme Augustnacht. David atmete tief den Algengeruch des nahe gelegenen Lake Mendota ein, während er in die Hauptstraße des kleinen Ortes Northport, Wisconsin, einbog, um nach Hause zu fahren. Er freute sich jetzt auf eine gut gekühlte Flasche Bier. Die sechs ZwölfStundenSchichten waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, und er war froh, endlich ein wenig ausspannen zu können.
    Doch dann erregte eine Bewegung an Harper's Drugstore seine Aufmerksamkeit.
    Adrenalin schoss durch seine Adern. Verflixt! Sein wohlverdienter Feierabend würde wohl noch ein wenig warten müssen.
    Er trat auf die Bremse, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr mit quietschenden Reifen ein Stück zurück. Im Scheinwerferlicht sah er, dass Kinder eine Art Räuberleiter gebildet hatten, um in ein Fenster des ersten Stockes einzusteigen.
    David fuhr rasch heran, parkte und sprang aus dem Wagen.
    „Mist, ein Polizist!“ Die beiden unteren Jungs gingen zu Boden, sprangen auf und liefen davon.
    „Hey, ich kann nicht runter!“ Der Junge, der den oberen Teil der Räuberleiter gebildet hatte, hielt sich am Fenstersims fest und schaute nach unten. Es war zu hoch, um hinunter springen zu können, ohne sich den Knöchel zu verstauchen.
    Dann hörte David, wie Mülltonnen klapperten und rannte in die Richtung des Geräusches, während er hoffte, dass der Junge ausreichend Kraft besitzen würde, um sich bis zu seiner Wiederkehr am Fenstersims festhalten zu können.
    Im schwachen Licht der Straßenlaternen sah er, wie zwei Jungen über den Hinterhof des Nachbarhauses liefen und sich dann teilten. Er entschied sich, hinter dem Jungen mit dem weißen TShirt herzurennen, da er in der Dunkelheit leichter zu erkennen war. Als David die Laterne an der Kreuzung erreicht hatte, blieb er stehen. Auf der einen Seite befand sich ein scheunenartiges verlassenes Gebäude, dessen Türen und Fenster zugenagelt waren. Auf der anderen Seite befand sich eine Tankstelle, an der viele Autos geparkt hatten. Wohin war der Junge gelaufen?
    Er horchte, ob ihn irgendein Geräusch verriet. Doch außer dem Rascheln der Blätter und dem Summen der Insekten, die um die Laterne flogen, herrschte Stille. Verdammt! Es war wohl besser, wenn er sich erst einmal um den dritten Jungen kümmerte, der immer noch am Fenster hing.
    Er drehte sich um und kehrte zum Drugstore zurück. Der Junge baumelte tatsächlich immer noch am Sims und zappelte hilflos mit den Beinen. Er trug Tennisschuhe, Jeansshorts, ein rotes TShirt und schien nicht älter als zehn Jahre zu sein. Viel zu jung für einen Einbrecher. David blieb direkt unter dem Jungen stehen.
    „Holen Sie mich hier runter!“ stieß der kleine Dieb hervor. Offensichtlich war er kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    Als David näher trat, knirschte zerbrochenes Glas unter seinen Füßen. Er umfasste die Beine des Jungen. „Du kannst jetzt loslassen. Ich habe dich.“ Das Gewicht des Jungen, nicht mehr als fünfunddreißig Kilo, sank auf seine Schultern nieder. Er hob den Jungen auf den Boden und drehte ihn zu sich herum.
    Das Kind schaute ihn mit ernsten grauen Augen an.
    Corrys Augen.
    David zog scharf die Luft ein. „Justin?“
    Die weichen goldenen Locken, an die er sich so gut erinnerte, waren abgeschnitten, und statt eines jungenhaften Lächelns lag ein mürrischer Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes. Trotzdem war es
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