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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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habe er dort ein altes Steinhaus erworben und den umgebenden Olivenhain dazu; viel viel Arbeit, sagt er, aber es wird euch gefallen.
    Mir scheint alles wie ein Traum. Dann sind wir zusammen mit unseren Zimmernachbarn die ersten Gä
ste oben im steinernen Haus. Eine schöne Schlichtheit, wie unten im alten Quartier stimmt auch hier alles; jedes Detail ist für die Augen eine Wohltat. Almuth, Pauls Frau, ist so offen wie er. Wir übergeben ihr den in der Via Ripetta erstandenen Champagner und unseren Beitrag zum Abendessen: Lachs, Zitronen und Dill, den sie mit Tobias zusammen auf einer Platte drapiert.
    Nach und nach treffen die Gäste ein, überwiegend sind es Italiener. Die Küche zu ebener Erde und der daran grenzende Raum des Steinhauses füllen sich mit Gespräch. Ich denke an die nordischen Feste bei Jan und Inger in Bölebyn; die Zurückhaltung der Schweden (von den Samen ganz zu schweigen), niemand spricht eine Fremde an, selbst wenn sie als Freundin des Hausherren gekommen ist. Mich störte das nie. Im Gegenteil. Ich mochte es, inmitten von lebhaft mit- und untereinander debattierenden Leuten stumme Beobachterin zu sein, ich liebte das geradezu.
    Hier, bei dem Temperament der Italiener, gelingt mir das nicht. Immer wieder werde ich nach meinen Eindrücken von Italien befragt. Und ich selbst spähe nach Fabrizia Ramondino, der in Itri lebenden Schriftstellerin. Bettina hat mir gerade ihr im Arche Verlag erschienenes, auf Ventotene spielendes Buch »Im Spiegel einer Insel« zu lesen gegeben. Ich sehe, sie ist immer umringt, lebhaft gestikulierend spricht sie. Eine schöne Frau – vier Jahre älter als ich –, sie trägt ein elegantes schwarzes Kleid, hat einen silbergrauen Schal darüber geworfen, im gleichen Farbton wie ihr Haar. Ein Soziologieprofessor aus Neapel und seine Frau ziehen mich in eine Unterhaltung. Neapel sei ein Katzensprung von hier,
er habe es schon dem Sohn gesagt, wir sollten unbedingt noch vorbeikommen, er zeige uns die Stadt. Ob ich wisse, daß Goethe Neapel mehr als Rom geschätzt habe. Ich sehe ihn ungläubig an. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurückerinnern, gegen die hiesige Lage kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, übelplaziertes Kloster vor . Er wiederholt: ein altes übelplaziertes Kloster. Seine Frau stimmt ihm zu. Ein Paradies sei Neapel, wenn man in Rom gern studieren mag, so will man hier nur leben , heiße es bei ihm; der Ort inspiriert Nachlässigkeit und gemächlich Leben … jedermann lebt in einer Art von trunkener Selbstvergessenheit . Ich erinnere mich nur, daß Goethe in Neapel seine Aversion gegen den Norden auf die Spitze getrieben hat. Schon in Rom empfindet er sich als von einer Grönlandreise, von einem Wallfischfang zurückgekehrt. In Neapel aber behauptet er, ein neapolitanischer Bettler würde die Stelle eines Vizekönigs in Norwegen verschmähen und auch die Ehre ausschlagen wenn ihm die Kaiserin von Rußland das Gouvernement von Sibirien übertragen wollte . Der Architekt lacht: Sempre neve, case di legno, gran ignoranza, ma denari assai, das habe er als den traurigen Begriff der Neapolitaner über die nördlichen Länder angeführt, was heiße: Immer Schnee, hölzerne Häuser, große Unwissenheit; aber Geld genug.
    Die beiden insistieren, für eine Goethe-Kennerin sei die Stadt am Vesuv ein Muß, sie würden den Sohn schon überzeugen. Dann geht unser Gespräch zur Gegenwart über, die Frau erzählt, sie habe ihre Kinder in einer neapolitanischen Wohngemeinschaft zusammen mit Fa
brizia großgezogen, jetzt seien sie erwachsen, Fabrizias Tochter sei einunddreißig.
    Sie fragt mich, wie ich Bettina kennengelernt habe. Auch im Gespräch mit anderen kommt die Rede des öfteren auf Bettina und ihre Buchhandlung an der Piazza Montecitorio; Bettinas Abwesenheit wird bedauert, und ich spüre, wie sehr sie von allen gemocht und geschätzt wird.
    Der Sohn löst sich von einer Gruppe, kommt zu mir, dein Rock ist hier Gesprächsthema, sagt er. Und schon fordert mich eine junge Frau auf ihn vorzuführen. Man tritt zurück, ein Halbkreis. Der weitfallende lange Trägerrock, dunkelgrüner schwerer Stoff, eine Art Filz. Im Fenster einer kleinen Boutique in Trier während einer Lesereise habe ich ihn gesehen und mich auf der Stelle für ihn entschieden. Ich mag ihn, nenne ihn meinen Wohnrock, beide Hände kann man in die eine große Tasche graben. Der Rock ist bauschig geschnitten, wird unten wieder enger. Ich soll mich drehen. Aber die
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