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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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Endgültigkeit des Abschieds. Er schildert seinen letzten Gang im Schein des abnehmenden Mondes durch Rom. Nachdem ich den langen Corso, wohl zum letzten Mal durchwandert hatte, bestieg ich das Capitol, das wie ein Feenpalast in der Wüste dastand. Bei diesem Gang
zieht er gleichsam  … die Summa Summarum seines ganzen Aufenthaltes. Und wie sollte mir gerade in einem solchen Augenblicke Ovids Elegie nicht ins Gedächtnis zurückkehren, der, auch verbannt, in einer Mondnacht Rom verlassen sollte.
    Am 2. April 1829 hatte Goethe seinen Mitarbeiter Riemer gebeten: ich bedarf einer deutschen metrischen Übersetzung beykommender sechs ovidschen Verse … Riemer erfüllt den Wunsch. Und der fast Achtzigjährige schließt mit jenen sechs Ovid-Zeilen, deren zwei erste bereits im Klagebrief des Neununddreißigjährigen an Johann Gottfried Herder standen.
    Cum subit illius tristissima noctis imago,
    Quae mihi supremum tempus in Urbe fuit;
    …
    Wandelt von jener Nacht mir das traurige Bild vor die Seele,
    Welche die letzte für mich ward in der Römischen Stadt,
    …
     
    30. Dezember
    Kein Abschiedsschmerz. Eher das Gegenteil. Freudiges Packen. Computer und Bücher in Plastekisten. Vorsichtiges Ablösen der Lappland-Wanderkarten von den Schränken. Das Zusammenrollen des im Oktober mit Joachim in Bochum erstellten Gesamtplans des Buches.
    Gestern spät am Abend ein ausführliches gutes Gespräch mit Tobias darüber. Klare Vorgaben bei der Zusammenführung von Bild und Text von seinem Bruder und mir seien für ihn das Wichtigste, ansonsten laufe es ins Leere, sagt er, und wir vergeuden Zeit und Geld.
Nicht immer werde sich das machen lassen, erwidere ich, es wird Umstellungen geben und von manchen Seiten wohl mehrere Entwürfe. Aber bitte nicht zwanzig, sagt er, lacht, spielt auf Franz Fühmann an, der ihm und seinem Bruder, als sie als Neun- bzw. Dreizehnjährige in Märkisch Buchholz das Puppenspiel »Die heilige Genoveva« aufführten, Manuskriptseiten gezeigt hatte, die zwanzigmal überarbeitet worden waren.
     
    Der Sohn ist heute allein unterwegs, er will Einkäufe machen und vielleicht noch die Treppen zum Kapitol hinaufsteigen zum Reitermonument des Marc Aurel oder einen Blick auf Kaiserforen und Trajansmärkte werfen.
     
    Gestern habe ich meinen Abschied für die Museumsmitarbeiter – nur zwei und ein Praktikant waren da – mit einem Sektfrühstück gegeben. Die Rückkehr der Chefin aus Deutschland wurde für den Abend erwartet.
     
    Jetzt ist sie da, wir sitzen in ihrem Arbeitszimmer. Der Blick in den Innenhof, die riesigen Blätter des Bananenbaums, die bis zur Erde reichenden Wedel der Palmen. Sie entschuldigt sich wegen der Unannehmlichkeiten, daß sie mich nicht unterrichtet habe, wo sich die Hauptsicherung befinde; aber einen gesamten Stromausfall habe es im Museum noch nie gegeben. Silvester aber, deshalb ist sie zurückgekommen, sehe sie mit Unruhe entgegen. Und sie erzählt von den Horrormeldungen, daß es in der Nacht vom 31. Dezember 1999 zum 1. Ja
nuar 2000 in ganz Europa zu einem Stromausfall, zu einer totalen Finsternis kommen könne, weil die Computer in den Kraftwerken auf die Zahl 00 übergehen müssen und auf die Nullen nicht reagieren könnten.
    Sie ist überrascht, daß wir bereits morgen früh das Haus verlassen. Von unseren Silvesterplänen hatte ich geschwiegen. Dann lade sie mich heute zu einem Abschiedsessen ein; auch ihre aus Deutschland mitgekommene Freundin, Mitarbeiterin im Goethehaus in Frankfurt am Main, würde mich gern kennenlernen. Tobias ist nicht begeistert, seinen letzten Rom-Abend mit drei weiblichen Wesen verbringen zu müssen. Aber er hält sich gut. Die Komplimente der beiden jungen Frauen. Versöhnen sie ihn oder gibt er sich nur den Anschein? Seine stets leichte Ironie, die ich mag.
    Ich danke Frau Bongaerts für die Monate in ihrer Casa. Sie ist eine so tüchtige, offene engagierte Person, ich bewundere sie und spüre, sie hat nach dem persönlichen Kummer ihr seelisches Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden. Alles sei gut gewesen, sage ich. Innerlich gebe ich mir selbst die Schuld, daß ich mich so oft unwohl gefühlt habe: mein mangelndes Italienisch, meine Lärmempfindlichkeit. Und wäre nicht alles anders gelaufen, wenn ich über Goethe, Herder, über Goethes Sohn August in Rom geschrieben oder mich, wie es nach den vier intensiven Recherche- und Schreibjahren angebracht gewesen wäre, für einige Monate ins Nichtstun – nur Sehen und Aufnehmen – hätte fallen
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