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Das Lied des Dunklen Engels

Das Lied des Dunklen Engels

Titel: Das Lied des Dunklen Engels
Autoren: Paul C. Doherty
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Kapitel 1

    E ine Woche später, am Vorabend des Feiertages des heiligen Andreas, des Apostels von Schottland, galoppierten zwei Reiter den Weg auf dem Kliff entlang, fest entschlossen, ihr Ziel zu erreichen, bevor sich das Novemberdunkel über das Land senkte. Sie ritten über eine Hügelkuppe, bei der der Weg ins Landesinnere führte und die Bucht umging. Der erste der beiden Reiter zügelte sein Pferd. Er wartete, bis sein stöhnender und klagender Gefährte ihn eingeholt hatte.
    »Verdammt noch mal!« murmelte dieser. »Wie lange noch, Herr? Ich weiß schon nicht mehr, wie ich noch sitzen soll, und mein Bauch denkt schon, jemand hätte mir die Kehle durchgeschnitten!«
    Sir Hugh Corbett, der Hüter des Geheimsiegels und Sonderbeauftragter, grinste unter seiner Kapuze hervor und blies sich auf seine verfrorenen Finger.
    »Komm schon, Ranulf«, trieb er den anderen an, »zumindest ist noch kein Schnee gefallen. Außerdem müßten wir in einer knappen Stunde dort sein!«
    Corbett schob seine Kapuze zurück. Er wandte sich von seinem Diener Ranulf-atte-Newgate ab und schaute über das neblige Meer und auf die Brecher, die auf die Felsen unter ihnen schlugen.
    »Ein kalter, düsterer Ort«, murmelte er.
    Ranulf schob seine Kapuze ebenfalls zurück und dirigierte sein Pferd neben das seines Herrn.
    »Ich hab Euch bereits gesagt, Herr, daß ich diese verdammten
    Landpartien hasse.« Er starrte über das Moor, über das sich der kalte Nebel langsam ausbreitete. Irgendwo in der zunehmenden Dunkelheit heulte ein Hund, als wolle er gegen das fürchterliche Wetter protestieren. »Ich hasse sie!« sagte Ranulf noch einmal mit Nachdruck. »Wo in aller Welt sind wir nur, Herr?«
    Corbett deutete hinunter aufs Meer. »Wir sind an der Küste von Norfolk. Im Sommer soll sie wunderschön sein. Unterhalb von uns liegt die Hunstanton Bay.«
    Er deutete über die Kliffs. Ranulf sah ein schwaches flackerndes Licht und erkannte die Umrisse eines Gebäudes.
    »Mortlake Manor«, sagte Corbett, »und da ist die alte Eremitage. Kannst du sie sehen, Ranulf?«
    Dieser kniff die Augen zusammen und konnte gerade noch die trostlosen Umrisse einer weitläufigen Ruine erkennen, die von einer hohen, teilweise beschädigten Mauer umgeben war. »Weiter im Hinterland liegt das Dorf«, fuhr Corbett fort, »und da, weiter im Nebel, wahrscheinlich dort, wo der Hund bellt, liegt der Holy Cross Convent.«
    Ranulf folgte den Blicken seines Herrn und sichtete hinter dem Kloster das Meer. Allein das Land haßte er, Ranulf-atte-Newgate, bereits, geboren in dem Gewirr enger Gassen Whitefriars, doch das Meer mit seiner grauen und kalten Endlosigkeit erfüllte ihn mit Entsetzen. Über dem Meer lag der Nebel wie ein Gespenst. Er hüllte die hungrigen und bedrohlichen Schreie der Möwen ein und ließ sie noch unheimlicher erscheinen. Der Donner der Brecher auf dem ausgestorbenen kieselübersäten Strand kontrastierte mit den öden Gebäuden, die sich schweigend wie der Tod oben auf dem Kliff festzuklammem schienen.
    »Wo hat man den Kopf entdeckt?« fragte er.
    Corbett deutete nach unten aufs Ufer.
    »Dort. Am oberen Ende des Strands. Er war sauber vom Rumpf abgetrennt und auf einen kurzen Pfosten gespießt, der in den Sand eingegraben war. Der Körper lag daneben.«
    »Armer alter Cerdic«, sagte Ranulf leise und schneuzte sich. Er blinzelte zu seinem Herrn hinüber. »Ich kannte ihn, müßt Ihr wissen. Falls je ein Mann beim Würfeln betrog, dann er. Er war ein solcher Betrüger, daß er schon nicht mehr geradeaus gehen konnte, ganz zu schweigen davon, daß er einem nie direkt in die Augen schaute.«
    »Jetzt ist er auf jeden Fall tot, ermordet von einem oder von mehreren Unbekannten. Was mich stutzig macht, ist, daß am Strand keine Spuren eines Handgemenges zu sehen waren. Wie erklärst du dir das, Ranulf? Wie konnte ein junger Mann, so robust und stark wie Cerdic Lickspittle, an den Strand und um seinen Kopf gebracht werden, ohne daß es zu einem Kampf kam? Es gibt keine Fußspuren, weder von ihm noch von seinem Mörder.« Corbett biß sich auf die Unterlippe und zog die Kapuze wieder über den Kopf. »Außerdem«, sagte er trocken, »würde ich gern wissen, was Lavinius Monck hier zu suchen hat. Nun, wir werden es bald herausfinden.«
    Corbett umfaßte die Zügel wieder fester und trieb sein Pferd den Pfad das Kliff entlang weiter. Er vermied es, nach rechts zu schauen. Hier ging es, nur wenige Fußbreit entfernt, steil in die Tiefe. Ranulf folgte ihm vor
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