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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
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Fähigkeit besitze, immer das Beste aus jeder Situation zu machen. Auch wenn ich jammere oder mich ab und zu beklage, weiß ich, dass das eine völlig normale Art der Entrüstung ist, wenn es um die Verletzung meiner Grundrechte geht.
    In diesem Falle um mein Recht auf Freiheit.
    Der Rechtsanwalt (immer schickt man mir offensichtlich den Nachwuchs, diesmal einen jungen Mann im schlecht sitzenden Anzug mit Pickel am Haaransatz, der aber durchaus tüchtig erscheint) konnte mir auch nicht genau sagen, wie lange ich hierbleiben würde. Ich sitze in Untersuchungshaft, man hat mich wegen Entführung und Köperverletzung angeklagt, was schrecklich genug ist, allerdings durchaus auszuhalten. Ich habe zudem bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Was die Knastbrüder betrifft, die mich nicht sonderlich ernst nahmen, so musste ich sie nur auf eine gewisse Art und Weise ansehen und ein paar Beschwörungsformeln murmeln, schon ließen sie mich in Ruhe. Das ist ganz witzig und ein toller Zeitvertreib.
    Der Nachteil meines Bekanntheitsgrades ist allerdings, dass man mich seit meiner zweiten Verhaftung bereits in das dritte Untersuchungsgefängnis verlegt hat. Sobald es in der Einrichtung, in der ich mich befinde, zu einem Selbstmord kommt, stehe ich automatisch unter Verdacht. Man geht einfach davon aus, dass ich dafür verantwortlich sein muss, also werde ich verlegt.
    Das ist natürlich absolut lächerlich, wie ich ihnen stets versichere – der Tod an sich interessiert mich nicht. Wieso sollte ich mir also überhaupt Gedanken darüber machen? Es ist furchtbar lästig, wenn man ständig verlegt wird. Ich verstehe nicht, warum man mich nicht einfach in Einzelhaft steckt; das wäre mir viel lieber. Vielleicht sollte ich das einmal vorschlagen, wenn man mich das nächste Mal verlegen will.
    Ich bekomme außerdem Briefe von Leuten in den schrecklichsten Lebensumständen – von Leuten, die nach einem Unfall gelähmt sind, an einer unheilbaren Krankheit leiden, von solchen, die in Würde sterben wollen, sich eine Reise in die Schweiz aber nicht leisten können und nicht wollen, dass ihre Lieben die Verantwortung für sie übernehmen müssen.
    Ich kann ihnen natürlich nicht helfen. Nun ja, vielleicht könnte ich es – auf einen besonders anrührenden Brief habe ich tatsächlich geantwortet und vorgeschlagen, im Internet nach freiwilliger Nahrungsverweigerung zu surfen –, aber warum zum Teufel sollte ich das tun? Schließlich habe ich nichts von ihrem Tod. Ich kann den Prozess nicht verfolgen.
    Ich lese keine Zeitung mehr. Sie macht mich fast immer nur wütend. Die Diskussion über Euthanasie, die meine Tätigkeit hervorgerufen hat, war ziemlich faszinierend, doch als die Hinterbliebenen sich zu einer Selbsthilfegruppe zusammenschlossen, stellte ich die Lektüre ein. Hinterbliebene, na klar. Wo waren sie denn, als ihre sogenannten geliebten Angehörigen litten? Wie haben sie denn die Einsamen, Deprimierten und Selbstmordgefährdeten unterstützt? Gar nicht. Und jetzt wollen sie Gerechtigkeit. Ich verzweifle noch mal daran, wie tief dieses Land gesunken ist.
    Zur Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung sollte ein psychologisches Gutachten erstellt werden, das war ziemlich unterhaltsam. Ist es noch immer, weil das Ganze endlos zu dauern scheint – sobald einer mit mir fertig ist, schickt man den nächsten, offensichtlich bin ich ein interessanter Fall. Versuchen sie zu klären, ob ich geistig gesund bin?
    Nach einer besonders interessanten Unterhaltung mit einem Psychologen zum Thema Schuld schrieb ich Audrey einen Brief und bat sie in aller Form um Verzeihung. Ich bedauere natürlich zutiefst, was ihr zugestoßen ist. Es war ein schreckliches Missverständnis. Ich weiß jedoch nicht, ob sie den Brief je erhalten hat.
    Vaughn hingegen kann von mir aus zur Hölle fahren. Ich habe keinerlei Bedürfnis nach weiterem Kontakt mit ihm.
    Manchmal denke ich an alle anderen – und da gibt es einige – die noch friedlich zu Hause liegen. Ich überlege, was von ihnen noch übrig sein könnte. Ich denke auch an Leah – wo sie jetzt wohl ist, und ob sie den Weg auch ohne meine Unterstützung weiterverfolgt hat. Ich habe sie stets für unsicher gehalten, aber wer weiß schon, was mit ihr und ihrem unglücklicherweise bereits verheirateten Liebhaber seither passiert ist. Falls sie sich von der Unterwelt abgewandt hat und ihrem gleichgültigen Orpheus zurück ins Leben gefolgt ist, erinnert sie sich vielleicht an unsere Treffen und
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