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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
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zurück. Wenn er nur ein Fünkchen Verstand hatte, würde er so schnell wie möglich von hier verschwinden.
    Ich griff nach der Vase und hielt sie Audrey unter die Nase. Im Licht sah ich, wie hübsch sie war, obwohl sie die Augen fest zusammengekniffen hatte. Ihr Gesicht war schmutzig, mit Tränen und Dreck verschmiert, ihre Augen dunkel umrandet, ihre Haut blass.
    »Hier«, sagte ich, »trink das – aber langsam.« Sie schüttete es ihre Kehle hinunter, ich zog die Vase wieder weg, doch sie versuchte sich daranzuklammern. »Nein, langsam – sonst wird dir schlecht. Nur kleine Schlucke.«
    Zum Weglaufen war es jetzt zu spät; er war wieder im Haus. Ich hörte ein Knallen und Krachen von oben. Als er durch das Gebäude lief, knarrten die Holzdielen über unseren Köpfen. Ein Lärm ertönte, als würde er mit Gegenständen um sich werfen.
    Audrey verzog panisch vor Angst ihr Gesicht. Ich konnte ihre Furcht, ihre Verzweiflung förmlich spüren.
    »Keine Angst«, sagte ich. »Ich bin bei dir. Ich beschütze dich.«
    Auf dem Sofa lag der Schraubenzieher. Ich lehnte Audrey an die Wand, stellte die Vase auf den Boden, dann lief ich los und holte das Werkzeug.
    »Was hast du getan?«
    Oben von der Treppe hörte ich Colins Stimme, sie klang so ruhig und kam so unerwartet, dass ich augenblicklich stehen blieb. Ich versteckte den Schraubenschlüssel in meiner Hand und schob den Griff in meinen Ärmel. Vielleicht hatte er ihn nicht bemerkt.
    »Was ich getan habe?«, antwortete ich ruhig und überraschte mich selbst damit. »Was hast du getan? Du hast sie eingesperrt!«
    »Wo ist sie?«, fragte er, und zu meinem Erstaunen klang seine Stimme traurig und verzweifelt. Mir wurde klar, dass er sie noch nicht entdeckt hatte. Doch sie verriet sich, indem sie ungeschickt nach der Vase griff, sie umstieß und dann aufschrie, als das Wasser um sie herum schwappte.
    »Audrey!« Er rannte die Treppe herunter, nahm zwei Stufen auf einmal, dann ging er zu ihr. Er schien sie umarmen zu wollen, blieb dann aber wie angewurzelt stehen, als sie entsetzt zurückwich. Als er sich wieder in der Gewalt hatte, richtete er sich auf und drehte sich zu mir um.
    »Na schön … Sie hat viel mitgemacht. Sie braucht Zeit.«
    »Ohne Essen und Trinken? Hast du darauf gewartet, dass sie stirbt?«
    »Ich würde keiner Fliege etwas zuleide tun, Annabel. Das weißt du.«
    Er machte einen Schritt auf mich zu, ich wich zurück und stieß mit den Waden an das Sofa. Ich sah die Treppe hinauf und überlegte, ob ich schneller wäre als er.
    »Lass uns gehen«, sagte ich und versuchte dabei einen selbstbewussten und autoritären Ton an den Tag zu legen.
    »Du hast versucht, mich hinters Licht zu führen.« Seine Stimme klang nun wütend und frustriert. Er machte noch einen Schritt auf mich zu.
    »Wehe, du kommst noch ein Stück näher!«, sagte ich.
    Er lachte, er lachte doch tatsächlich. »Was denn, glaubst du vielleicht, ich hätte Angst vor dir, Annabel? Warum sollte ich Angst haben? Ich habe doch nur helfen wollen. Was anderes habe ich nie getan.« Er stand nun dicht genug vor mir, sodass er mich berühren konnte, und legte seine Hände auf meine Oberarme, als wollte er mich schütteln, mich umarmen oder mich umstoßen. Sein Griff war fest, seine Hände fühlten sich durch meine vom Regen immer noch feuchte Strickjacke warm an.
    »Fass mich nicht an«, sagte ich ruhig.
    »Atme ein paarmal tief durch, Annabel«, sagte er. »Beruhige dich.«
    Hinter ihm versuchte Audrey sich aufzurappeln. Er drehte sich zu ihr um und lachte, als er sah, wie sie sich abmühte, wieder zur Seite fiel und vor Anstrengung keuchte. Sie klammerte sich, so fest sie konnte, an die Keramikvase.
    »Hast du etwa vor, mich damit zu schlagen?«, spottete er. »Arme Maggie. Vielleicht war das ihre Lieblingsvase.«
    Ich hatte den Schraubenzieher ganz vergessen. Als ich mich bewegte, fiel er mir aus dem Ärmel und krachte auf den Boden. Irgendetwas packte mich. Ich wand mich aus seinem Griff, sprang zurück, holte mit meiner Faust aus und schlug ihn, so fest ich konnte, seitlich gegen den Kopf. Dazu stieß ich einen wütenden Schrei aus, der von meiner Angst, was er tun könnte, wenn ich ihm Zeit zum Überlegen ließ, noch verstärkt wurde.
    Er stöhnte überrascht auf, verlor das Gleichgewicht, fiel auf Hände und Knie und hielt sich mit einer Hand die Wange. »Aua!«, sagte er. »Warum hast du das getan?«
    Es war mir offenbar nicht gelungen, ihn k.o. zu schlagen.
    Audrey hob die Vase. Sie
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