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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
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Ende wurde die Küche größer und führte in einen Wintergarten, der L-förmig um die Ecke ging und in ein großes Wohnzimmer mündete. Mir fiel auf, dass von dort eine weitere Tür in den Flur führte, und ich überlegte, dass hier wohl eine Wand eingerissen worden war. Gleichzeitig fragte ich mich aber auch, warum um alles in der Welt ich in diesem Haus herumkroch und mir über mögliche Umbauten Gedanken machte.
    Dann sah ich die Leiche.
    Sie lag auf dem Sofa, saß nicht wie Shelley Burton in einem Sessel. Alles, was von der Person noch übrig war, war schwarz und wirkte hohl. Ihre Kleidung war fleckig und hing an den sterblichen Überresten herab. Graue Haarbüschel klebten an dem fast völlig verwesten Schädel, an dem nur hier und da noch ein paar Hautfetzen hingen. Um das Sofa herum wirkte alles normal, bis auf die Fliegen – doch auf dem Sofa hatte sich das, was einst ein menschliches Wesen mit Gefühlen, Gedanken und Witz gewesen war, in eine stinkende, verwesende, ekelhafte Masse verwandelt.
    Ich betrachtete die Leiche lange, trat aber nicht näher an sie heran. Ich hatte meine Hand über Nase und Mund gelegt, als könnte das den Gestank vermindern und meine angstvollen Schluchzer unterdrücken. Ich wollte nicht länger an so einem grässlichen Ort sein, an dem tote Menschen lagen, die niemand vermisste.
    Genug. Hör auf, Annabel. Reiß dich zusammen.
    Vorsichtig lief ich mit dem Rücken zu den großen Fenstern, die ins Grüne hinausgingen, zur Tür am anderen Ende des Zimmers. Sie führte in eine Art Abstellkammer. Hier drinnen herrschte ein anderer Geruch – es roch nicht nach Tod, sondern irgendwie noch schlimmer. Unter einer Flurgarderobe standen Gummistiefel, darüber war eine lange Arbeitsplatte befestigt, auf der Tupperwaredosen lagen, ein Tennisschläger, Putzzeug in einem Korb, kleine Gefäße auf einem Tablett, Schnüre, eine Gießkanne, Insektenspray, ein paar Gartenhandschuhe, eine kaputte Schublade, ein Stapel alter Gardinen. Ich sah zur Hintertür, sie war oben und unten verriegelt. Ich schob die Riegel beiseite und rüttelte daran, bis sie nachgaben. Im Schloss steckte kein Schlüssel; mir war bereits klar, dass die Tür bestimmt abgesperrt war. Doch als ich dagegendrückte, gab sie ein wenig nach. Ich sah mich suchend nach einem Schlüssel um und überlegte, dass diejenigen, die hier einmal gewohnt hatten, ihn bestimmt in der Nähe aufbewahren würden – und da war er auch schon. Er hing an einem Haken, einem rostigen Nagel, inmitten von Spinnweben am Fensterrahmen.
    Ich griff danach und steckte ihn ins Schloss. Er ließ sich nur schwer drehen, doch schließlich konnte ich die Tür öffnen; ich drückte gegen das Holz, das sich durch die Feuchtigkeit und die seltene Benutzung verzogen hatte. Draußen stand das Unkraut meterhoch, und sobald ich die Tür einmal geöffnet hatte, ließ sie sich nicht mehr schließen. Doch der Schwall frischer Luft war einfach köstlich.
    Nachdem ich meinen Fluchtweg gesichert hatte, ging ich in den Abstellraum zurück. Dort war eine weitere Tür. Als ich sie öffnete, befand sich dahinter wie erwartet eine Speisekammer: Auf den Regalen standen ordentlich aufgereiht Konservendosen, Gläser mit Nudelsauce, und auf den breiteren Regalen weiter unten riesige Töpfe und Pfannen, große Servierplatten und Packungen mit Papierservietten. Hier drinnen war es nicht staubig, vielleicht weil die Tür geschlossen gewesen war – nur ein schlechter Geruch von irgendwas Vergammeltem hing in der Luft. Wie von dem Abwasserkanal, den ich als junges Mädchen einmal am Strand entdeckt hatte. Ein unvermittelter Angriff auf die Sinne.
    Wieder hörte ich ein Geräusch, diesmal klang es viel näher, als käme es direkt aus diesem Raum.
    »Audrey?«, sagte ich. »Hallo? Ist hier jemand?«
    Links von mir, zwischen zwei Regalen, war ein Lichtschalter. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass der Strom abgeschaltet war, doch überraschenderweise ging über mir eine Glühbirne an und warf ihr Licht in einen schmalen Raum voller Regale. Ganz hinten sah ich eine weitere Tür.
    Natürlich war auch sie verschlossen. Obwohl ich mit zitternden Händen alle Regale abtastete, konnte ich keinen Schlüssel finden.
    Ich ging wieder in die Abstellkammer zurück und kramte in den Schubladen, zog sie eine nach der anderen schnell heraus und knallte sie wieder zu, dann machte ich mich an die Schränke darunter. Im letzten fand ich schließlich einen alten Werkzeugkasten aus Metall, der sich auf der
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