Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
Vom Netzwerk:
ohne ihn zu bemerken. Doch in diesen wenigen, verrückten Minuten, als sich alles in meinem Kopf drehte und mein Herz in Trümmern lag, hatte ich ihn angesehen und dem gelauscht, was er zu sagen hatte. Und ich hatte allen Ernstes geglaubt, dass er ein Engel sei, der gekommen war, um sich um mich zu kümmern.
    Und lief das, was er jetzt tat, nicht auf dasselbe hinaus? Er hatte mir nichts getan, trotzdem war ich nervös, hatte Angst und das Gefühl, ich wäre leichtfertig ein großes Risiko eingegangen, auch wenn ich nicht glaubte, dass er mir jetzt etwas antun würde. Er hatte nur das getan, worum ich ihn gebeten hatte – er hatte mich an einen Ort gebracht, wo ich alleine sein konnte. Hatte er das mit all den anderen nicht auch so gemacht? Hatte er ihnen nicht geholfen, das zu erreichen, was sie alleine nicht vollbringen konnten? Ihre Gebete erhört?
    Oben an der Treppe erstreckte sich ein Flur, an dessen Ende sich ein buntes Bogenfenster befand; davor wogten Zweige im Wind, die ihre Schatten darauf warfen und wie mit Krallen am Glas rüttelten. Alle Türen im Gang waren geschlossen. Ich folgte ihm den Flur entlang Richtung Fenster bis zur letzten Tür auf der linken Seite. Er öffnete sie.
    Das musste früher einmal ein Gästezimmer gewesen sein. Auf dem Doppelbett lag eine glänzende rosafarbene Tagesdecke über der bloßen Matratze. Der pfirsichfarbene Teppich mit dem wilden Muster wirkte grau und verstaubt. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, hüllten den Raum in Dämmerlicht und sperrten den grauen Himmel aus. An der Wand stand ein Einbauschrank, dessen Türen geschlossen waren. Eine Frisierkommode war in den Schrank eingelassen, ein mit grünem Samt bezogener Stuhl stand davor, dessen goldfarbene Borte an einer Ecke abgerissen war und verloren herunterhing. Die Wände waren pastellpink gestrichen, zwei verblasste Landschaftsbilder in pinkfarbenen Plastikrahmen hingen zu jeder Seite des Bettes an der Wand. Auf einem Nachtkästchen stand traurig eine schiefe Lampe, daneben ein altmodischer Wecker mit zwei Glöckchen und einem Hämmerchen, der aber nicht tickte.
    Ich weiß nicht, ob ich mich inzwischen an den Gestank gewöhnt hatte oder ob er hier oben einfach nur schwächer war, jedenfalls war der Geruch im Raum nicht unangenehm, nur muffig, weil man länger nicht gelüftet hatte – es war eher ein blumig süßer Duft. Auf der Frisierkommode entdeckte ich eine Porzellanvase mit vertrockneten Blumen und einem einzelnen staubigen Föhrenzapfen. Die Schale mit dem Potpourri deutete klar darauf hin, dass es sich um ein Gästezimmer handelte.
    Colin stand an der offenen Tür und beobachtete mich interessiert. Ich spürte seinen Blick auf mir, als ich mich im Zimmer umsah.
    »Du kannst hierbleiben«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich. Ich ging ins Zimmer hinein, blieb stehen und wartete, was als Nächstes kommen würde. Ich hörte nicht, wie er die Tür schloss oder ging, also setzte ich mich auf den Bettrand. Er stand in der Tür, sah mich an, und der Blick, den ich von ihm erhaschte, beunruhigte mich. In diesem einen Blick sah ich, wie aufgeregt er wirkte – ja fast begeistert.
    Er schwieg einen Moment und sagte dann: »Ich komme bald wieder zurück und sehe nach dir. Dann können wir uns noch ein wenig unterhalten, wenn du möchtest.«
    Danach schloss er die Tür, ohne meine Antwort abzuwarten. Einen Augenblick später hörte ich, wie er den Schlüssel im Schloss umdrehte. Er sperrte mich ein! Warum? Das musste er doch gar nicht tun, oder? Aber natürlich schwieg ich, dann hörte ich gedämpfte Schritte, die sich über den Flur entfernten.
    Ich zählte langsam bis zehn, falls er zurückkam, weil er etwas vergessen hatte. Im Zimmer war es still. Ich hörte nichts, nicht einmal den Wind oder das Kratzen der Äste am Fenster im Flur.
    Ich griff in meine Bluse nach dem Handy. Hier hatte ich so gut wie keinen Empfang. Hatte Sam nicht genau das befürchtet? Ich war schließlich auf dem Land – da war die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass ich kein Netz hatte. Ich prüfte noch einmal, ob das Telefon auf stumm geschaltet war – es wäre fatal gewesen, wenn ich mich ausgerechnet jetzt verraten hätte. Dann schickte ich Sam eine Nachricht.
    Bin in großem Haus in Grayswood Lane. Bin jetzt alleine. Er hat mich im Zimmer eingesperrt. Bist du uns gefolgt? A
    Kurz darauf leuchtete der Bildschirm auf.
    Fehler – Versenden der Nachricht nicht möglich.
    Neuer Versuch.
    Ich stand auf, ging zu den Schränken und öffnete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher