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Verbannte der Ewigkeit

Verbannte der Ewigkeit

Titel: Verbannte der Ewigkeit
Autoren: Robert Silverberg
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1.
     
    Barrett war der ungekrönte König im Hawksbill-Lager, niemand bestritt das. Er war am längsten hier, hatte das meiste erlitten, besaß die größten Kraftreserven. Vor seinem Unfall hätte er es mit jedem im Lager aufgenommen; jetzt war er ein Krüppel. Trotzdem umgab ihn noch immer die Aura der Autorität, und daher führte er noch immer das Kommando. Wenn es Probleme gab – und daran herrschte kein Mangel –, kam man damit zu Barrett, und er kümmerte sich darum.
    Und er besaß tatsächlich ein Königreich, oder besser: einen ganzen Planeten, von Pol zu Pol, von Längengrad zu Längengrad, praktisch die gesamte Erde, obwohl das eigentlich nichts bedeutete.
    Draußen regnete es. Barrett erhob sich mit einer schnellen Bewegung, die ihm unendliche Schmerzen bereitete, und schlurfte zum Eingang seiner Hütte. Der Regen machte ihn nervös. Das Trommelfeuer der dicken, schweren Tropfen konnte selbst einen Jim Barrett verrückt machen. Die chinesische Wassertropfen-Folter würde erst in etwa einer Milliarde Jahren erfunden werden, aber Barrett konnte sich ihre Wirkungsweise gut vorstellen.
    Er öffnete die Tür – jetzt konnte er sein Reich überblicken. So weit das Auge reichte, nur grauer, nackter Dolomit-Felsen, gepeitscht von Wind und Regen. Nirgends Gras oder ein Baum. Hinter Barretts Hütte lag die graue, unendliche See. Auch der Himmel war hier immer grau, selbst wenn es nicht regnete.
    Barrett humpelte hinaus.
    Längst hatte er sich an seine Krücke gewöhnt, obwohl zuerst sein Arm durch starke Schmerzen wochenlang protestiert hatte. Jetzt schien die Krücke zu seinem Körper zu gehören, war förmlich angewachsen. Er stützte sich auf und ließ den zerquetschten linken Fuß in der Luft baumeln.
    Im letzten Jahr hatte ihn ein Erdrutsch überrascht, als er auf einer Expedition zum Ufer des Inneren Sees gewesen war. Oben hätte man ihn sofort ins nächste Krankenhaus geschafft und ihm einen künstlichen Fuß samt Gelenken angepaßt, wo jetzt nur ein verkrüppeltes Glied herabhing. Aber dieses Oben, sein Zuhause, war eine Milliarde Jahre vom Hawksbill-Lager entfernt, und es gab keinen Weg dorthin. Der Regen klatschte ihm ins Gesicht, und seine Haare klebten auf der Stirn. Barrett runzelte die Brauen.
    Er war groß, hatte tiefliegende, dunkle Augen, eine hervorspringende Nase und ein dementsprechendes Kinn. Früher einmal hatte er gut und gern neunzig Kilogramm auf die Waage gebracht – in seinen jungen Jahren, als er Oben noch Fahnen geschwenkt und Parolen geschrien und Flugblätter verteilt hatte. Jetzt aber hatte er die Sechzig überschritten, sein Körper begann einzufallen, und er bekam Falten, wo früher einmal Muskeln gewesen waren. Es war schwierig, hier im Lager das Gewicht zu halten, obwohl die Nahrung nahrhaft war. Ihr fehlte ganz einfach der Geschmack. Zwischen einem Steak und einem Brachiopoden-Eintopf oder Trilobiten-Haschee war ein gewaltiger Unterschied.
    Barrett grämte sich nicht mehr darüber. Das war übrigens einer der Gründe, warum die Männer des Lagers ihn als Führer akzeptierten. Er war stets ausgeglichen, ein ruhender Pol. Er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden, hatte das ewige Exil akzeptiert, und so konnte er anderen helfen, diesen Prozeß durchzumachen, bis sie auch einsahen, daß es in ihre Welt keine Rückkehr mehr gab.
    Durch den Regen kam eine Gestalt auf ihn zu: Charley Norton, der doktrinäre Chruschtschow-Anhänger mit den trotzkistischen Neigungen. Norton war klein und leicht erregbar, und er ernannte sich oft zum Nachrichtenüberbringer, wenn es etwas Neues gab. Er rannte auf Barrett zu, balancierte über Felsen und fuchtelte mit den Armen wild in der Luft herum.
    Barrett hob eine Hand, als er näher kam. »He, Charley! Langsam, oder du brichst dir das Genick!«
    Schnaufend kam Norton vor der Hütte zum Stehen. Der Regen hatte ihm sein schütteres Haar ins Gesicht getrieben, und in seinen Augen brannte ein fanatisches Feuer – vielleicht war es aber auch nur Astigmatismus. Er schnappte nach Luft und ging in die Hütte. Im Eingang schüttelte er sich wie ein nasser Hund. Vermutlich war er vom Hauptgebäude hierhergelaufen, und das war bei Regen gefährlich und anstrengend, da die Felsen dann glitschig wurden.
    »Warum stehst du draußen im Regen?« fragte er Barrett.
    »Um naß zu werden«, antwortete Barrett sarkastisch, dann wandte er sich um und ging ebenfalls hinein. »Was gibt’s?«
    »Der Hammer glüht. Wir werden in Kürze Gesellschaft
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