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Ein Gentleman wagt - und gewinnt

Ein Gentleman wagt - und gewinnt

Titel: Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Autoren: Anne Ashley
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PROLOG
    1812
    M ajor Barton Cavanagh stand bei seinem Pferd und überprüfte ein letztes Mal den Sitz seiner Satteltaschen, als seine Aufmerksamkeit von einem Trupp Soldaten abgelenkt wurde, der sich soeben anschickte, das Camp zu verlassen. Cavanagh blickte ihnen mit unbewegter Miene hinterher. Er war ein Mann, der selten zu lächeln pflegte, und es fiel seinen Mitmenschen oft schwer, seine Stimmung einzuschätzen. Trotzdem wunderte Captain Fergusson sich, als er auf den Freund zutrat und nicht einmal den Anflug einer Gefühlsregung in dem markanten Gesicht entdeckte.
    “Großer Gott, Barton!”, rief er. “Fast könnte man annehmen, du würdest zu einem Scharmützel aufbrechen, statt nach London zurückzukehren und deinen überfälligen Urlaub zu genießen.”
    Nun zeigten Bartons dunkle Augen wenigstens sekundenlang eine gewisse Belustigung. “Vorsicht, Giles!”, mahnte er und wandte sich zu dem jüngeren Offizier, dessen Kavallerieuniform in diesem Teil des Lagers ziemlich auffällig wirkte. “Wie du sehr wohl weißt, missfällt es deinen Kameraden, wenn du dich mit minderwertigen Infanteristen abgibst.”
    “Wann immer ich dich sehen will, muss ich mich notgedrungen in die Niederungen des Pöbels wagen.” Gutmütig akzeptierte Giles die Hänselei des Majors, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war. “Indes werde ich nie begreifen, warum ein so hervorragender Reiter wie du die Laufbahn eines Fußsoldaten gewählt hat.” Auf diesen Kommentar erhielt er keine Antwort, und er war klug genug, das Thema nicht weiterzuverfolgen. “Hast du Neuigkeiten über deinen Vater gehört?”
    Barton schüttelte den Kopf. “Wenn ich die Intelligenz meiner Stiefmutter auch eher durchschnittlich finde, eins muss ich Eugenie zugestehen – sie neigt nicht zu Übertreibungen. Deshalb gehe ich davon aus, dass ihre Mitteilung über den besorgniserregenden Gesundheitszustand meines Vaters ernst zu nehmen ist. Doch selbst wenn es nicht so wäre, würde ich diesen Urlaub daheim verbringen. Höchste Zeit, dass ich mit meiner Familie Frieden schließe …” Bevor er weitersprach, beobachtete er wieder die Soldaten, die nun auf einen Höhenzug in ein paar Meilen Entfernung zumarschierten. “Diese letzten Jahre in Spanien haben meine Anschauungen entscheidend geändert. Was ich früher wichtig fand, spielt inzwischen kaum mehr eine Rolle für mich. Ich glaube, auf diese oder jene Weise beeinflussen Kriegserlebnisse die meisten Männer. In manchen bringen sie die besten Wesenszüge zum Vorschein, in anderen die schlimmsten.”
    Zustimmend nickte Giles und folgte dem Blick seines Freundes. “Wellesley meint es offenbar ernst. Wie ich sehe, hat er den Profoss mit der Kolonne losgeschickt.”
    “Nach den Verlusten in den letzten Monaten kann er nicht untätig bleiben. Die Leute desertieren scharenweise. Angeblich verstecken sich etwa hundert in dem unwegsamen Gelände dort droben. Wenn sie genug zu essen finden, können sie noch eine Weile durchhalten. Aber sobald der Winter beginnt, werden sie in Schwierigkeiten geraten.”
    “Ich habe gehört, Wellesley wäre bereit, Nachsicht zu üben, wenn sich jemand freiwillig stellt. Indes würde er nicht zögern, alle anderen zu hängen.”
    Mit schmalen Augen fixierte Barton die Bergkette. “Ehrlich gesagt, da draußen treibt sich jemand herum, den ich gern am Galgen sehen würde. Wellesley bezeichnet die gemeinen Soldaten als Abschaum. Und damit hat er völlig recht, was Septimus Searle betrifft. Einen niederträchtigeren Schurken wirst du kaum finden. Unglücklicherweise gehört er meiner Kompanie an. Ich bedauere es, dass ich nicht hier bin, wenn er seine gerechte Strafe erhält. Und das wird geschehen, denn es ist ausgeschlossen, dass er sich ergibt und sich erneut meinem Kommando unterstellt. Ich würde ihm das Leben zur Hölle machen. Das weiß er.”
    Verblüfft hob Captain Fergusson die Brauen, denn sein Freund genoss den Ruf, seine Untergebenen besonnen und gerecht zu behandeln. Deshalb respektierten ihn seine Männer. “Diese Rachsucht passt nicht zu dir.”
    Ohne die geringste Reue zu zeigen, stieg Barton auf sein Pferd. “Zwischen Vergewaltigung und Mord gibt es so gut wie kein Verbrechen, das Searle nicht begangen hätte. Mein Mitleid gilt den Opfern. Aber in den nächsten Wochen will ich die Erfahrungen vergessen, die ich auf der Halbinsel gesammelt habe, und angenehmeren Interessen nachgehen, während ich mich mit meiner Familie versöhne.”

1. KAPITEL
    1816
    N
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