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Wo niemand dich findet

Wo niemand dich findet

Titel: Wo niemand dich findet
Autoren: L Griffin
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1
    Melanie rumpelte auf einer Schotterpiste dahin und suchte den Horizont nach nicht vorhandenen Orientierungspunkten ab. Es dämmerte bereits, und der Nieselregen bildete einen feinen Schleier auf der Windschutzscheibe. Hier war sie doch richtig? Oder war sie schon wieder vorbeigefahren? Nein. Nach der kleinen Brücke ging es links ab …
    Da entdeckte sie die gelbliche Funzel über der Haustür. Sie seufzte. Endlich! Endlich Sex und mexikanisches Essen! Seit Joes Anruf und seiner Nachricht, dass er heute Abend freihätte, hatte sie sich darauf gefreut. Und zwar in dieser Reihenfolge.
    Als sie auf das Haus zurollte, wankte und schwankte ihr Chevrolet Blazer bedenklich, seine altersschwachen Stoßdämpfer ächzten bei jeder Bodenwelle. Doch schließlich kam sie hinter Joes Honda zum Stehen. Auf einmal bemerkte sie, dass im Haus alle Fenster dunkel waren. Vielleicht war das Spiel schon zu Ende? Voll Vorfreude packte sie die Tüte mit dem Essen und stieß die Wagentür auf. Der Duft warmer Tortilla-Chips vermischte sich mit der feuchten Kühle der Frühlingsnacht. Noch im Sitzen blickte Melanie wieder zum Haus …
    Und erstarrte.
    Ihre Nackenhaare sträubten sich, und aus der Erinnerung
sprach eine Stimme zu ihr, erst schwach wie ein Echo, dann eindringlicher wie ein beharrliches Flüstern. Durch den Nieselregen stierte sie zum Haus. Das Flüstern wurde drängender.
    Weg! Weg! Weg!
    Endlich reagierte sie. Wie vom Blitz getroffen ließ sie die Essenstüte fallen und schlug die Autotür zu. Sie startete den Wagen und legte den Rückwärtsgang ein, um die Auffahrt im selben Moment rückwärts zurückzurasen. Auf der Schotterpiste schlug sie denselben Weg ein, den sie gekommen war. Nur dass ihr diesmal die sanften Bodenwellen alle Knochen durchrüttelten, während sie mit pochendem Herzen in Richtung Highway donnerte.
    Er war da.
    Wie konnte sie da so sicher sein? Sie wusste es einfach. Irgendetwas an dem Haus hatte es ihr verraten. Was, das konnte sie auch später herausfinden. Jetzt musste sie erst mal den Blazer in der Straßenmitte halten. Mit zitternden Fingern griff sie nach ihrem Handy und drückte Joes Nummer.
    Nur die Mailbox.
    Tränen schossen ihr in die Augen. Sie erreichte den Highway und trat auf die Bremse. Gerade noch rechtzeitig. Nur wenige Zentimeter vor ihr raste ein Sportwagen vorbei.
    Verdammt noch mal, denk nach! Was würde Alex jetzt tun? Während sie mit quietschenden Reifen auf den Highway fuhr, zermarterte sie sich den Kopf. Sie hatte doch einen Plan. Sie hatte einen Plan.
    Wie war der doch gleich?

    Sie zwang sich, tief durchzuatmen. Ihre Notfallausrüstung lag auf dem Rücksitz. Sie konnte sofort auf brechen, ohne einen einzigen Zwischenstopp. Sie könnte in ihr Notquartier.
    Aber was war mit Joe? Sie ging etwas vom Gas. Sie musste umkehren.
    Im Rückspiegel blitzten zwei Scheinwerfer auf. Ihre linke, rationale Hirnhälfte registrierte die Höhe des Wagens, seine Form und den Abstand zu ihr. Die andere reagierte mit Panik.
    Sie drückte das Gaspedal durch. Ihr Puls schoss in die Höhe, als der Wagen hinter ihr ebenfalls beschleunigte. Der Tachometer zeigte schon über einhundertzwanzig, doch die Lichter im Rückspiegel wollten einfach nicht verschwinden. Mit beiden Händen hielt sie das Lenkrad umklammert. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Er konnte sie nicht gefunden haben. Nicht jetzt.
    Warum hatte sie nicht auf Alex gehört?
    Die Straße machte eine Kurve. Sie riss das Lenkrad herum und kämpfte, um nicht die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Doch sie merkte, wie sie ins Schleudern geriet. Ihr Magen zog sich zusammen, als die Reifen die Haftung verloren und über den Asphalt rutschten. Bremsen quietschten – oder war es ihr Schreien? –, und dichtes Buschwerk raste auf sie zu. Ein metallisches Kreischen. Sie prallte mit dem Gesicht gegen das Lenkrad.
    Und dann – nichts. Nichts außer ihrem gepressten Atmen und dem monotonen Tropfen des Regens über ihr. Kein Airbag. Sie hielt sich den Unterleib und versuchte eine Bestandsaufnahme. Blut, warmes, dickflüssiges Blut sickerte aus ihrem Mund.

    Er kommt.
    Dieser Gedanke erweckte sie wieder zum Leben. Sie rüttelte an der Autotür, die plötzlich das doppelte Gewicht zu haben schien. Der Wagen stand also schief, sie lag in einem Graben. Mit der Schulter warf sie sich gegen die Tür und stemmte sie auf. Zweige schlugen ihr ins Gesicht, als sie sich aus dem Auto kämpfte.
    Die einzige Lichtquelle war ein von Blattwerk halb verdeckter
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