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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen
Autoren: Dermot Bolger
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Sallynoggin hertransportiert. Aber was dort gemütlich gewirkt hatte, sah in den neuen, großen Räumen abgenutzt und schäbig aus. Und um neue Möbel zu kaufen, fehlte Shanes Eltern das Geld.
    Genug Platz gab es also in dem neuen Haus, aber trotzdem keinen Ort, an dem Shane dem Ehekrieg seiner Eltern hätte entfliehen können. Egal, in welches Zimmer er sich abends zurückzog, ihre wütenden Stimmen drangen durch alle Wände und es gelang ihm nur schwer, sich auf eines der Bücher zu konzentrieren, die er sich immer aus der Bücherei auslieh. Nirgends fühlte er sich geborgen.
    Tagsüber fühlte Shane sich einsam und verlassen. Aber auch der Schlaf bot ihm nachts wenig Trost, denn in seinen Träumen wurde er immer von Wasser bedroht. Vor allem ein Albtraum kehrte immer wieder: Er beugte sich über ein Wasserbecken in einem Keller oder Verlies, jedenfalls an einem Ort, wo eine Leiche nie gefunden werden würde. Der Traum endete jedes Mal unweigerlich mit dem Gefühl, nach vorne zu kippen, in das Wasser hinein, das so tief und eiskalt war, dass es kein Entkommen gab. Schweißgebadet und mit hämmerndem Herzschlag wachte er jedes Mal auf, im letzten Moment, bevor sein Körper in das Wasser eintauchte. Shane erzählte seinen Eltern nie von seinen Albträumen, denn sie hatten genug mit ihren eigenen, echten Sorgen zu tun.
    In den ersten Monaten in Blackrock vertraute er sich niemandem an. Er behielt alles für sich. Aber die Einsamkeit warfür ihn schwer zu ertragen, vor allem, als die Sommerferien anfingen und seine Eltern jeden Morgen zur Arbeit fuhren. Das einzig Gute an diesen langen Vormittagen und leeren Nachmittagen war, dass im Haus nichts mehr von der Spannung zu spüren war, die sonst überall lauerte. Seine Eltern hatten ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn den ganzen Tag allein ließen und sprachen immer wieder davon, ihn in ein Sommercamp zu schicken. Aber Sommercamps kosten Geld und Shane war erleichtert, als irgendwann nicht mehr die Rede davon war.
    Jeden Abend, wenn seine Mum und sein Dad nach Hause kamen, log ihnen Shane etwas vor. Er erzählte von den neuen Freunden, die er angeblich kennengelernt hatte und mit denen er im Blackrock Park Fußball spielte. Er erzählte ihnen, es sei der beste Sommer seines Lebens, weil sie das so unglaublich dringend hören wollten. Er hätte ihnen jede Lüge erzählt, nur damit sie nicht wieder stritten. Aber in Wirklichkeit hatte er nach drei Monaten in Blackrock noch keinen einzigen neuen Freund. Die Jugendlichen, die sich im Blackrock Park oder am Frascati Center herumtrieben, waren ihm gegenüber nicht feindselig, aber sie kannten sich alle untereinander und Shane war ein Außenseiter. Er hatte Angst davor, sich vor anderen lächerlich zu machen, und ihm war jede Sekunde bewusst, dass seine Eltern nicht in dieses Milieu passten.
    Es war total aberwitzig von seinen Eltern gewesen, sich ein Haus zu kaufen, das sie sich so offensichtlich nicht leisten konnten. Aber seinem Vater war mit Vernunft nicht mehr beizukommen gewesen, sobald er einmal von der fixen Idee besessen war, nach Blackrock umzuziehen. Schließlich hatte Shanes Mutter nachgegeben, durch das unablässige Drängen seines Vaters ermüdet und – wie sie immer wieder ins Feld führte – weil er sie und alle anderen belogen hatte, was die tatsächliche Kaufsumme betraf. Erst als sie mit ihm beim Notar den Kaufvertrag unterzeichnete, wurde ihr auf einmal bewusst, wie hoch die Hypothek tatsächlich war, die sie aufnehmen mussten. Die monatlichen Rückzahlungsraten würden jeden Cent verschlingen, den sie beide verdienten.
    Shanes Vater war ein unverbesserlicher Optimist, der immer überzeugt davon war, dass sein jüngster Wie-werde-ich-schnell-reich-Plan ihnen tatsächlich zu einem Vermögen verhelfen würde. Er brachte es fertig, den Eskimos Schnee zu verkaufen. Das Problem war nur, dass die Eskimos den Schnee zurückschickten oder dass ihre Schecks platzten oder dass er selbst plötzlich beschloss, die Zukunft läge nicht darin, Schnee zu verkaufen, sondern Sand, weshalb er sich dann daranmachte, den Arabern in der Wüste eben Sand zu verkaufen.
    Wenn Shanes Vater inzwischen mit seinem neuesten Plan daherkam, wie er schnell viel Geld verdienen konnte, verdrehte Shanes Mutter nur genervt die Augen und blickte dann zu Shane, damit er sie unterstützte. Shane sagte immer »Klingt großartig, Dad«, weil er spürte, dass sein Vater unbedingt jemand brauchte, der noch an ihn glaubte, und weil Shane allzu
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