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Winterreise

Winterreise

Titel: Winterreise
Autoren: Gerhard Roth
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wollte nicht, daß er sie küßte. Sie setzte sich, nach Luft ringend, auf, während Nagl sie umarmte. Sie konnte ihr Loch wunderbar zusammenziehen und wieder locker lassen, und ihre Backen waren weich und sanft und ihre Brüste, nach denen Nagl griff, waren schwer. Sie fragte ihn, ob er wiederkehrte. Nagl sagte, ja. Wenn er wiederkehrte, würde sie schlank sein, wie ein junges Mädchen. Sie würde schwimmen gehen und keinen Alkohol trinken. Sie setzte sich auf sein Glied und wippte auf und ab, bis sie kam und auch Nagl kam, und er legte sich auf die Seite und schlief ein. Er erwachte, als die Frau sich im Halbdunkel anzog. Gleich darauf sah er, daß ihr Kopf klein geworden war, weil die Haare sich zerdrückt hatten. Ihre künstlichen Wimpern lösten sich von den Lidern und sie machte mit dem Mund ein Geräusch, wie wenn man falsche Zähne an das Zahnfleisch preßt. Nagl erinnerte sich, daß sie sich nicht hatte küssen lassen. Er starrte zur Decke und hörte, wie sie in ihrer Handtasche kramte. Nach einer Weile kam sie duftend und geschminkt auf ihn zu. Sie hatte ihm ihre Adresse auf das Nachtkästchen gelegt, falls er wiederkäme. Sie bat ihn auch, nach ihr zuzusperren, sperrte die Haustür auf, legte den Schlüssel neben die Eingangstür und verschwand. Nagl blickte aus dem Fenster, aber die Frau war nicht mehr zu sehen. Er las ihren Namen, Luisa Zanoletti. Sie wohnte in der Calle delle Veste. Er begab sich zurück in das Bett, aber er konnte nicht schlafen. Es machte ihm nichts aus, allein zu sein. Er konnte jetzt an Anna denken, ohne daß es ihn schmerzte. Draußen lag das große Schiff. Aber über der Dunkelheit, über der Nacht gab es Räume, unendliche Räume. Er blickte auf den dunklen Schatten der »Appia« vor seinem Fenster und stellte sich vor, mit ihr auf das Meer hinauszufahren.
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    Als er am nächsten Morgen erwachte, war die »Appia« vor seinem Fenster verschwunden. Es war ein schöner Wintertag im Süden. Ihm fiel ein, wie er mit Anna eine Reise zum Großglockner gemacht hatte. Er dachte daran, sie anzurufen, aber er wollte ihr keine Lügen erzählen. Das Meer war blaugrün. Auf dem Kai gingen zwei Polizisten in Regenmänteln mit umgehängten Gewehren, den Lauf nach unten. Nagl erinnerte sich, während er sich ankleidete, an das Mädchen in Rom, das tot vor seiner Pension gelegen war. Und er dachte an den Mann, der zu ihm in das Zimmer gekommen war, an den Gendarmen und an Luisa. Sie war eine schöne, verblühte Frau, und Nagl fragte sich, was sie tagsüber täte. Er ging auf die Straße, und es trieb ihn in ihre Nähe. Von hellbraunen, verwaschenen Regenplanen zugedeckte Schiffe schaukelten in den Kanälen. Er fuhr bis zum Rio della Fava. Stufen führten von nackten Ziegelhäusern in das Wasser. Auf der Ponte del Barcaroli sah er eine Frau mit blauem Hut und Hasenfellmantel, die an einem Haus läutete. Die Tür wurde geöffnet und die Frau trat ein. Über das Wasser ragte ein Eisen-Balkon, darunter las Nagl auf einem Schild, daß Mozart in diesem Haus als Kind gewohnt hatte. Nagl betrachtete das Haus, und eine Frau mit Brille kam heraus, blieb in der Tür stehen und wartete, was Nagl wollte. Nagl wollte nichts und die Frau schloß langsam die Tür. Er kam in die Calle Veste, blieb stehen, ging dann aber schnell zum Markusplatz weiter, wo er sich vor das Cafe »Quadri« setzte und eine Grappa bestellte, die er rasch trank. Die Tauben gurrten, und Nagl wurde an der Sonne schläfrig. Er sah hinter hochgezogenen Leinwandvorhängen Geschäfte mit Marmorportalen, und die beiden Fotoapparate auf den Holzstativen mit den schwarzen Tüchern. Auf einem der langen Holztische, die aussahen wie leere Marktstände, schlief ein Hund … Er bezahlte und ging mit einer Schar Touristen in den Dogenpalast. Aber er spürte eine merkwürdige Leere. An allem ging er achtlos vorüber, an der schwarzen Sänfte mit der goldenen Verzierung, den goldenen Kassettendecken, den eingekritzelten Namen im Ruß der alten Kamine, den goldgelben Seidentapeten und den alten Stühlen – nur einmal, gleich zu Beginn, hielt er vor den zwei braunen, menschengroßen Weltkugeln in verzierten Holzrahmen, aber er hatte keine Lust zu denken, er stand nur über den Holzkugeln und betrachtete sie. Dann trieb es ihn weiter an den schwarzen Tischen mit den Intarsien aus bunten Vögeln, Blumen, Trauben, Blättern und Tieren vorbei, an den teerschwarzen Bildern von Hieronymus Bosch, den Kommoden mit Einlegearbeiten aus Rosenholz und Perlmutt, den
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