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Winterland

Winterland

Titel: Winterland
Autoren: Åke Edwardson
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empfand er Trauer über das Schicksal seines Freundes, war verzweifelt über das, was geschehen war. Was wie blanchiert wurde und wie lange und womit, all das verlor im Schatten des vergangenen Tages seine Bedeutung. In der nahen Vergangenheit.
    Es knarrte wieder in dem alten Haus, irgendwo auf diesem Stockwerk. Sekunden später hörte Winter den Wind draußen, der aufgefrischt hatte. Wahrscheinlich hatte eine Bö an der Tür gerüttelt, doch Winter hatte ja hinter sich abgeschlossen.
    Er blätterte eine weitere Seite um. Das Papier war steifer Karton. Diesmal waren es nur drei Bilder, das waren viel weniger Gesichter als auf den vorangegangenen Seiten. Er betrachtete das mittlere Bild. Es war etwas größer als die anderen. Hirschmann stand wie immer inmitten einer Gruppe von Menschen. Hirschmanns Frisur verriet, dass das Foto aus der Vergangenheit stammte, wenngleich einige Friseure es sicher schon als steinzeitlich bezeichnet hätten. Sein Gesicht war im Halbprofil zu sehen, als würde er gerade etwas zu dem Mann sagen, der rechts von ihm stand. Winter folgte Hirschmanns Profil, folgte seinem Blick. Der Mann rechts von Hirschmann blickte gerade in die Kamera.
    Es war Erland Dinter.
    Winter spürte wieder die Kälte im Körper.
    Mein Gott, das war Erland Dinter, ein vielleicht zehn Jahre jüngerer Dinter, aber er war es. Die Zeit hatte ihn verändert, aber nicht stark.
    Dinter, der vor weniger als einem Tag noch gesagt hatte, dass er noch nie zuvor mit Lars Hirschmann gearbeitet hätte. Ihn nie kennen gelernt habe.
    Hier standen sie beide zusammen, in einer Kochschule in Italien.
    Winter begann die anderen Gesichter auf dem Foto zu betrachten.
    Er musste nicht lange suchen.
    Schräg hinter Dinter stand Bengt Richardsson.
    Winter schauderte.
    Das Licht fiel so auf Richardsson, dass er von allen in der kleinen Gruppe am besten beleuchtet war.
    Sein Gesicht hatte sich im Laufe der Jahre nicht verändert. Für ihn war die Zeit stehen geblieben. Das jugendliche Gesicht war auf seltsame Weise unverändert, als gäbe es für Richardsson keine Vergangenheit und keine Zukunft.
    Dinter und Richardsson. Der Koch und der Wachmann. Das klang wie der Titel eines Dramas. Einer Tragödie.
    Die beiden zusammen auf demselben Bild irgendwo in der Vergangenheit.
    Und die beiden zusammen im selben Lokal in der Zukunft. Das war gestern. Der eine mit einer Zeugenaussage über den anderen. Beide in selbstverständlichen Rollen in einem echten Drama.
    Die Rollen der Unschuldigen. Da hatte Winter den Koch einen Moment lang verdächtigt, so wie er alle einen Moment lang verdächtigt hatte, aber der rechtschaffene Wächter hatte Dinter so gut wie reingewaschen.
    Aber beide hatten eine alte Verbindung zu Lars Hirschmann.
    In diesem Augenblick spielte es keine Rolle, warum. Nicht einmal, wie viele Warums es überhaupt gab. Es genügte, dass Winter es wusste, dass er hier in dem alten Haus an der kalten Nordsee die Mörder auf ein und demselben Bild gefunden hatte.
    »Ähm … Entschuldigung«, war eine Stimme zu hören.
    Er sah von dem Ordner auf.
    In der Tür stand Bengt Richardsson.
    Er trug seine Uniform und hatte eine Pistole in der Hand. Winters erster Gedanke war, dass ein Wachmann keine Handfeuerwaffen tragen darf. Aber die Pistole war nicht auf Winter gerichtet. Richardsson sah nicht gefährlich aus. Er sah nicht so aus, als ob er gleich über ihn herfallen würde.
    Er weiß nicht, dass ich es weiß, dachte Winter.
    Er weiß nicht, was auf der Seite ist, die ich hier aufgeschlagen halte.
    Er wird es nicht wagen, das Risiko einzugehen, nicht jetzt. Er weiß nicht, ob es noch Beweise gibt, Bilder, die die alte Verbindung offenbaren. Er hat auch gesucht, hat aber diesen Ordner nicht gefunden. Also weiß er nicht, dass dies hier der besondere Ordner ist. Sowie er das kapiert, schießt er mir in den Kopf.
    »Ich habe gesehen, dass … das Licht an war«, stotterte Richardsson.
    »Haben Sie das Gebiet gewechselt?«, fragte Winter.
    »Wir wechseln immer ab«, antwortete Richardsson. »Das hier ist mein … mein erster Abend hier draußen.«
    Die erste Nacht, dachte Winter. Es ist wieder Nacht.
    »Ich habe das Absperrband draußen gesehen«, sagte Richardsson, »und ein Auto.«
    »Und da haben Sie die Pistole gezogen«, sagte Winter und nickte zu der Waffe hin, die Richardsson in der Hand hielt.
    »Die hat ja wohl nichts mit dem Dienst zu tun, oder?«
    »Ich hoffe, Sie verraten mich nicht.« Richardsson steckte die Pistole wieder ins Halfter.
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