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Wie ich Schriftsteller wurde

Wie ich Schriftsteller wurde

Titel: Wie ich Schriftsteller wurde
Autoren: Norbert Golluch
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in der ZEIT sollte meinen Ruhm für die nächsten Generationen zementieren.
     
    Benno hat die Zeitung vom Kiosk mitgebracht. Er lümmelt sich
aufs Sofa, köpft eine Flasche Bier, trinkt, befreit eine Bifi von ihrer Folie,
beißt hinein und beginnt mit vollem Mund zu lesen:
     
    „Ein besonderes kulturelles Ereignis durfte unsere
Literaturexpertin Sigrid Gabler am gestrigen Abend miterleben, eine der
seltenen Lesungen des jungen Dichters … blabla … bla …“
     
    Bifi, Bier. Weiter.
     
    „Die Zeilen dieses jungen Poeten transportierten für seine
Zuhörer einen umfassenden lyrischen Bewusstseinswandel, der nicht nur das
poetische Subjekt des aufgeladenen Sprachkunstwerks und alle Materie im Raum
mit Urkräften und elementarer Energie durchzog.“
     
    Benno rülpst.
     
    „Die rhythmischen Bewegungen der federleicht getupften
Zeilen ordnen sich zyklisch um den Kern eines eigenständigen poetischen
Universums und beinhalten alle Eventualitäten des zeitlichen Kontinu … u ... ms
….“
     
    Benno trinkt einen Schluck, kratzt sich am Sack.
     
    „… alle morphologischen Grundmuster der gegenständlichen
Welt. Dabei bleibt die Frage nach der Genese menschlicher wie poetischer Urmuster
immer im Bewusstsein des Zuhörers, aber auf philosophische Weise unbeantwortet,
… blabla …“
     
    Ich kratze mich am Kopf. Diese Vielschichtigkeit, diese
Tiefe … Ich habe mich jahrelang massiv unterschätzt, scheint mir.
     
    „Lies weiter“, fordere ich Benno auf. Meine Stimme zittert.
     
    „Hier … das ist gut! … schwebend leichte Lautmalerei, schwingender
Sprachduktus und das Vibrieren eines gelebten Lebens stehen im ständigen
Austausch, heben das poetische Wort zur überindividuellen, kollektiven Arabeske
empor …  Mann, Alter … die meint doch nicht dich!“
     
    Ich reiße ihm das wertvolle Papier meiner ersten
literarischen Besprechung aus den Händen und lese selbst laut weiter:
     
    „Besonders die letzten Zeilen entfalten Elementares, konfrontieren
den Zuhörer mit dem aufgeladenen lyrischen Ich, machen den lesenden Autor zum Medium
und hinterlassen den Zuhörer zwischen der meditativen Lehre eines Zenklosters
…“
     
    „Zenkloster ist immer gut!“ wirft Benno unqualifiziert ein.
     
    „… zwischen der meditativen Lehre eines Zenklosters als
ruhendem Pol im Chaos kosmischer Bewegungen und dem eigenen entwurzelten Ego,
welches der Autor auf eine höhere Ebene zu transponieren sucht. Ich zitiere:
     
    „Venus,
verruchte
    wonnige
Wellen
    Xanthippe?
    Yasmina?
    Zuckende
Zeit ...“
     
    Benno hat den Fernseher eingeschaltet, guckt eine
Sportsendung, immerhin ohne Ton. Ich lese den letzten Satz, der mich quasi auf
den Olymp aufsteigen lässt:
     
    „Selten hat in den letzten Jahren ein Autor im
zeitgenössischen Diskurs mit derartig übermenschlicher Gelassenheit das Endgewesene,
das Geworfene der menschlichen Existenz in Worte gefasst.“
     
    Ich bemerke, dass ich weine und eine leichte Erektion habe.
     
    „Fertig?“ fragt er. „Kann ich jetzt?“
     
    Ich nicke. Schalke hat wieder 4:0 verloren. Das entspannt
mich. Ich lasse mich neben Benno auf das Sofa fallen, völlig ermattet von der
eigenen Größe.
     
    Gerade kommen die Ergebnisse der zweiten Liga, als der erste
Verlagskonzern anrufen lässt. Man bemüht sich um mein nächstes Werk, die Verlagsgruppe
Random Mouse kauft gleich die ganze Edition Black Forrest und kündigt die große
Werbekampagne für meinen ersten Roman an. Ein Müslihersteller bittet mich kurz
darauf telefonisch darum, sein Produkt in meinem Text zu erwähnen,
selbstverständlich gegen eine vielstellige Sponsoringzahlung.
     

Der Dichter bei der Arbeit
    Wenn ich es im Nachhinein betrachte, muss ich sagen, dass
ich Erstaunliches leistete. Ich schrieb mit übermenschlicher Geschwindigkeit, wie
im Rausch, Buchstaben, Worte und Sätze füllten den Arbeitsspeicher meines
Rechners, seine Festplatte und es quollen in immer neuen Versionen, textliche
Ergänzungen aus meinem Drucker. Nun hatte ich einen Umfang von 450
Manuskriptseiten erreicht, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich nicht ein
entscheidendes Kapitel verlor, weil Benno mit einigen auf den Boden gefallenen
Seiten den Gartengrill angezündet hatte. Na ja, ich werde es neu ausdrucken,
wenn ich es auf der Festplatte finden kann.
     
    Mein Lektor Gerd O. Weiher hatte geschickt verhandelt und
war zum Leiter der Abteilung Literatur aufgestiegen, meldete sich quasi
stündlich bei mir, denn er wusste, dass
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