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Wie ich Schriftsteller wurde

Wie ich Schriftsteller wurde

Titel: Wie ich Schriftsteller wurde
Autoren: Norbert Golluch
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Wein darin noch so gut sein, bestimmten Leuten schmeckt er nicht.
Jetzt brauche ich den Hautgout der Klassik, den Klang exquisiter Bildung, die
tragende Gewissheit intellektueller Kleinodien …
     
    Mein hochgradig kreatives Gehirn spielt in Millisekunden
einige Varianten durch: Eckermann Erleuchtung? Gesang der Erinnyen? Das
Grablied der Persephone?
     
    „… es trägt den Titel „Klytämnestras Rache“.
     
    Fragen Sie mich nicht, warum. Aber ich liege richtig, Treffer,
niemand beschwert sich, niemand lacht. Ich beginne mit großer Gestik
vorzutragen:
     
    „Am
Abend aß Anna
    blaue
Beeren,
    chinesische
Chöre
    durchdrangen
das Dunkel,
    ein
Eiszapfen engte elf Engel ein.
    Flieg,
Fledermaus, Fogel, Federfieh!
    Geht,
göttlich gefärbte Gestalten
    hinunter?
Hinauf, hoch hinauf
    ins
Irrlicht, ins Irre, ins Irgendwo!
    Ja,
jedermann, jedweder Jesus,
    kein
kleineres Königreich kommt!“
     
    Das Publikum ist wie gelähmt. Ich fühle mich ähnlich
aufgewühlt von den eigenen Worten, greife in einem lyrischen Ausnahmezustand nach
dem Wasserglas neben mir und stürze es hinunter. Dann fahre ich mit leiser, aber
bedeutungsschwangerer Stimme fort:
     
    „Lasst Leda liegen,
    mit Mut macht mich
mächtig,
    nehmt nächtliche Nähe
    offenen Ohres.
    Prachtvoll, pralle
Priesterin,
    quälende Quelle
    rote Rösser rufen
    sinkender Sonne Süße
    tiefe Träume tropfen,
trinken, taumeln
    und unten, unter uns
Unschuldigen
    Venus, verruchte
    wonnige Wellen
    Xanthippe?
    Yasmina?
    Zuckende Zeit ...“
     
    Paula atmet schwer, sie hat ihr Gesicht in die Hände
gestützt. Benno weint. Die Zuhörer in den ersten Reihen reißen sich vor lauter
Ergriffenheit die Haare vom Kopf. Applaus brandet auf, dazwischen Da-Capo!-Rufe

     
    Ich habe den Höhepunkt meiner Karriere eigentlich später
erwartet, irgendwann, nachdem mein erster Roman erschienen ist. Aber mir scheint,
dass dieser Moment nicht mehr zu übertreffen sein wird. Einzelne Zuhörer stellen
Fragen zur Interpretation und zum formalen Aufbau meines Textes, doch die große
Masse will mehr von ihrem Meister, will weiter rauschhaft im Universum der
Worte vergehen …
     
    Leider muss ich feststellen, dass ich wohl irrtümlich das
Blatt mit einem weiteren Text zu Hause liegen gelassen habe, das „Große Wattahatta
tatui“, ein außerordentliches Post-Dada-Gedicht. Dafür trage ich jetzt meinen
Einkaufszettel bei mir, ich schreibe meine Einkäufe immer auf Fehldrucke,
nutzte so die überzähligen DIN-A4-Seiten aus meinem Drucker. Ich hätte meine
Notizen für den Supermarkt ausgerechnet auf einem Ausdruck gemacht, auf dem die
Netzwerkkonfiguration meines Druckers festgehalten ist.
     
    Ich muss also improvisieren, suche nach einem poetischen
Konzept. Ich hier, die menschliche Seite, repräsentiert durch die Handschrift,
dort die Maschine, die kalte Welt der Bits und Bytes. Ich bin geradezu
geschockt von meiner Eingebung, empfange die letzten Huldigungen, nehme dann
die Pose des sich sammelnden Dichters ein und beginne wieder zu lesen. So oder
ähnlich muss ein poetry slam ablaufen.
     
    „Nun möchte ich ein Werk der leichteren Muse vortragen,
etwas scheinbar Humorbeflügeltes, ätherisch Leichtes, aber dennoch nicht
Bedeutungsloses, denn es schwingt auch die Entfremdung durch die Konfrontation mit
moderner Technik mit. Es handelt sich um das Gedicht … Ei!
     
    Ei!
    192.168.1.103
    Marga
Rine DHCP!
    PCL
halb fett o weh!
     
    d4-64-80-fa
    Salami,
Obst und Nutel-la!
    TCP/IP
Beuteltee
    Rücken
vom Reh
     
    DNS
bitte!
    Löwensenf
und Milchschnitte
    Keinen
Kasten IPv4!
    Wasser?
Bier! Bin ja hier. Klo-Papier.“
     
    Nicht nur ich bemerke die natürliche Beziehung zwischen dem
Schriftsteller und dem Medium, das seine Worte zu tragen in der Lage ist, dem
Papier. Ich laufe zur Hochform auf:
     
    Spree – Ufer, Wald
und Gurken!
    Pringels! Ringeldingeldingels!
    Bifi oder Wifi?
    Sixpack!“
     
    Ein spontaner Entschluss: Der brutale Klang dieses Wortes
beendet meinen Vortrag. Begeisterte Autorenkollegen tragen mich aus dem Saal,
die Veranstaltung schlägt in eine dionysische Orgie des Personenkults um.
     

Auf dem Olymp
    An sich wäre mein Auftritt im kleinen Kreise eine Marginalie
des Kulturlebens geblieben, hätte nicht durch einen unglaublichen Zufall die
Kritikerin Sigrid Gabler daran teilgenommen. Ihr Alfa Romeo war wieder einmal
grundlos verreckt, und das ausgerechnet in der Nähe von Fachingen. Zu Fuß hatte
sie zufällig den Ort des Geschehens erreicht und war zutiefst beeindruckt.
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