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Wie ich Schriftsteller wurde

Wie ich Schriftsteller wurde

Titel: Wie ich Schriftsteller wurde
Autoren: Norbert Golluch
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Onno
von Heimeran. „Wir alle sind manchmal schwach. Ich hoffe nur, du hast unter
einem Pseudonym gearbeitet. Denk nur an Adrian und Dieter Bohlens letztes
Meisterwerk …“
     
    Ich kann erkennen, wer diese Adrian war, denn im Stuhlkreis
fällt einem jungen Max Frisch die Pfeife aus der Hand. Der Walter Benjamin
neben ihm, offenbar sein Co-Autor, erleidet einen Krampfanfall.
     
    „Was will man auch machen? Absagen, nichts als Absagen …“
verteidigt er sich und seinen Gefährten.
     
    Jetzt erst bemerkten sie meine Anwesenheit. Schneller als
ich denken kann, sitze ich auf dem Stuhl in der Mitte und sehe mich von Fragen
bombardiert.
     
    „Wie haben Sie das gemacht, eine Zusage, und dann noch mit
einem eigenen Text?“
     
    „Gehört der Verlag einem Verwandten von Ihnen?“
     
    „Wie viel Druckkostenzuschuss zahlen Sie?“
     
    „Mit wem mussten Sie schlafen?“
     
    „Womit haben Sie den Verleger unter Druck setzen können?“
     
    „Hat er wirklich einen Pferdefuß?“
     
    Es ist eine großartige Veranstaltung. Der einfache Stuhl –
selbstverständlich ein Designklassiker von Egon Eiermann – ist mein Olymp. Ich
antworte auf jede Frage wahrheitsgemäß, meine Worte werden jeweils mit Ausrufen
des Erstaunens quittiert. Am Ende fragt mich Hermann Onno von Heimeran, ob ich
als erfolgreicher Autor nicht für eine Lesung am kommenden Dienstag im Kreise
von Kollegen und an Literatur interessierten Freunden der Vereinigung zur
Verfügung stünde.
     
    Leichtsinnigerweise sage ich zu.
     
    Nun stehe ich da und bin ratlos. Nein, ich zweifle nicht
mehr an meiner literarischen Kompetenz, wenn ich aus meinem neuen Roman lesen
würde, wäre mein Publikum sicherlich starr vor Erstaunen und Dankbarkeit.
Allerdings habe ich in meinem Autorenvertrag zugesichert, bis zum Erscheinen
des Buches keinesfalls damit an die Öffentlichkeit zu gehen, und vertragsbrüchig
will ich bei meinem ersten bedeutenden Projekt auf keinen Fall werden. Also
rufe ich Hermann Onno von Heimeran zurück und schilderte ihm mein Dilemma.
     
    „Kein Problem“, meint der. „Jedes Ihrer Worte ist uns
willkommen. Lesen Sie doch einfach aus einer Kurzgeschichte oder einer Novelle
oder vielleicht haben Sie auch etwas Lyrisches in der Schublade …“
     
    Eine große Last fällt von meinen Schultern, als ich diese
Worte vernehmen. In der Tat, es gibt einige lyrische Arbeiten aus einer frühen
Phase meines Schaffens, sozusagen aus der blauen Periode, denn die meisten von
ihnen sind in einer Kneipe namens „Das blaue Haus“ entstanden und auch der
Zustand des Verfassers hatte etwas mit dieser Farbe zu tun. Dennoch bin ich mir
sicher, während ich in Aktenordnern nach den Manuskripten suche, dass ich diese
meine dichterischen Arbeiten der Vergangenheit unterdessen auf neue Weise
wertschätzen werde. Dann fällt mir ein, dass Benno sie zuletzt gehabt haben
muss. Wir machen uns auf die Suche nach diesem wertvollen Stück Literatur.
     
    Bei ihm zu Hause kramt er in einer Kiste mit alten Fotos
herum, findet auch einige Lichtbilder seiner und meiner Person im Kreise einiger
unbekannter Damen im „Blauen Haus“, und an eines der Bilder ist ein
zerknittertes, zum Teil mit einer gelblichen Flüssigkeit getränktes Blatt Papier
mit einigen handschriftlichen Notizen befestigt, und zwar mit einer klebrigen,
jetzt aber verhärteten Substanz, die an Kaugummi erinnert. Es muss sich dabei
um die zweite Version dieses Gedichtes handeln, denn die erste, da bin ich mir
sicher, hatte ich auf einen Bierdeckel geschrieben. Dieses Original wird aber
wohl für immer verloren sein.
     
    Ich hebe das fast antik anmutende Blatt und lese. Ja, das ist
es, was ich gesucht habe. Ich muss jedoch feststellen, dass eine völlig neue
interpretatorische Annäherung an diesen Text notwendig ist, jetzt, wo ich ihn
im Diskurs meines neuen Schaffens betrachtete.
     
    Ich bitte Paula, das lyrische Werk zu lesen. Sie folgt meine
Bitte, liest laut vor, erstickt aber fast vor Gelächter. Mittlerweile beginnt etwas
in meinem Inneren zu bröckeln, und nach anfänglicher Unsicherheit begreife ich,
dass dies das Standbild des großen Dichters zu sein scheint, das ich in der
Toskana mühevoll aufgebaut haben. Natürlich versuche ich, es zu verteidigen.
Benno kommt mir zuvor.
     
    „So, wie du das liest, klingt auch Mozarts Glocke alles
andere als gut!“ versucht er mir beizuspringen.
     
    „Ganz abgesehen davon, dass die Glocke von Schiller ist“,
kontert Paula. „Du glaubst doch
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