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Filmriss

Filmriss

Titel: Filmriss
Autoren: Olaf Buettner
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    Es gibt Tage, da weiß man plötzlich, dass alles anders wird im Leben und natürlich viel besser. Es fängt mit irgendeiner Kleinigkeit an: Die Sonne scheint ins Zimmer, wenn man aufwacht, oder man kriegt genau den Bus in die Stadt, den man sonst immer verpasst. Irgendwas, was eigentlich nicht wichtig ist. Aber man weiß genau: Diesmal ist es anders.
    So geht es mir heute Morgen mit Marlons Lächeln, schon als ich auf die Haltestelle zulaufe. Er hat unheimlich gleichmäßig geformte, weiße Zähne. Natürlich lächelt er mich nicht zum ersten Mal an, aber heute ist irgendwas anders. An ihm, an mir, zwischen un s …
    »Hier, guckt mal!« Ich halte den Schlüssel in die Luft und grinse breit.
    »Wow«, meint Benny. »Ein Schlüssel. Das bedeutet die Wende, definitiv.«
    Marlon kapiert dagegen sofort. Dafür braucht er nicht mal was sagen, ich seh es an seinem Gesicht. Sein Gesicht, das ich stundenlang anschauen könnte. Die Haut ist so braun wie die Schale von ganz hellen Nüssen, die Züge so fein wie bei einem orientalischen Prinzen. Unter der Mütze quillt sein dichtes schwarzes Haar hervor. Ich würde am liebsten einfach hineingreifen.
    »Nicht übel«, sagt er. »Kannst du den behalten?«
    »Natürlich nicht.« Ich lasse mich neben ihn auf die Bank fallen. »Das ist der Haken an der Sache. Heute Mittag muss er wieder bei meinem Vater in der Jacke sein. Heute Nachmittag muss er ihn abgeben.«
    Benny macht ein Gesicht, als müsste er die Quadratwurzel aus sieben ziehen: Er checkt gar nichts. Marlon dagegen kann eins und eins zusammenzählen. Wir alle reden doch ständig davon, dass wir endlich auch im Winter einen Treffpunkt brauchen. Doch Benny rafft es nicht. Und damit ist der Unterschied zwischen den beiden schon exakt auf den Punkt gebracht. Benny ist nicht dumm, aber manchmal ein bisschen schwer von Begriff.
    »Dann gibt es also nur eine Möglichkeit.« Marlon schaut mich so intensiv an, dass es mir schwerfällt, auf seine Worte zu achten und nicht in seinen dunklen Augen zu versinken wie im Meer.
    Ich reiße mich zusammen. »Nachmachen lassen?«
    »Exakt.« Er grinst fröhlich. »Ich schlage vor, wir machen das zusammen.«
    Resigniert winkt Benny ab und steckt sich erst mal eine an.
    »Aber die Schule?«, frage ich. »Der Schlüssel muss ja bis Mittag zurück sein.«
    »Pfeif drauf!« Seit die Sache mit der Schulband geplatzt ist, weil der Drummer abgesprungen ist, lässt Marlon die Schule etwas hängen. Im Gegensatz zu mir kann er es sich leisten, weil er in fast allen Fächern ziemlich gut ist.
    »Manchmal gibt es eben Wichtigeres im Leben als Schule«, sagt er. »Findest du nicht?«
    Außerdem kann er so locker drüber reden, weil seine Eltern ihm fast alles durchgehen lassen. Sie selbst können keine Kinder bekommen und haben ihn adoptiert, als er ein Säugling war. Ursprünglich kommt er aus Algerien, seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben, von seinem Vater weiß er nichts.
    Jetzt guckt er mich wieder so an, als würde er von etwas ganz anderem reden als von Schlüsseln oder Schulen. Es kommt mir vor, als würde er nur von mir reden oder von uns beiden.
    »Doch«, sage ich schnell. »Das finde ich auch.«
    Plötzlich fühlt mein Gesicht sich an, als ob es gleich platzt. Daran merke ich, dass ich so rot geworden bin wie eine Tomate.
    Im Bus traue ich mich endlich, die entscheidende Frage zu stellen. »Was ist jetzt eigentlich mit Frieda?« Ich versuche so zu klingen, als wäre mir seine Antwort egal.
    »Was soll mit ihr sein?« Er tut, als würde er mich gar nicht verstehen.
    »Na, du weißt scho n …« Mein Blick schweift aus dem Fenster, die Sonne blinzelt durch die letzten bunten Blätter. Ich spüre, dass Marlon lächelt, ohne dass ich es sehe.
    »Ob wir noch zusammen sind?«, fragt er.
    Jetzt schaue ich ihn an, in Wirklichkeit lächelt er gar nicht.
    »Ja?«
    Er guckt weg.
    »Nicht mehr richtig«, sagt er.
    »Was heiß t …?«
    »Es ist praktisch vorbe i …«
    »Aber?«
    »Wir haben es noch nicht ausgesprochen. Also nicht direkt. Aber eigentlich ist alles klar.«
    »Eigentlich?«
    »Ist nur noch Formsache.«
    Der Bus hat jetzt den Bahnhof erreicht. Als der Fahrer die Türen öffnet, küssen wir uns zum ersten Mal. Von diesem Augenblick habe ich so lange geträumt, dass ich vor Glück zerspringen möchte.
    »Ich find dich schon lange besser als sie«, flüstert er mir beim Aussteigen zu.
    »Echt?«
    »Na klar. Sag nicht, das hast du nicht gemerk t …«
    Dazu schweige ich lieber. Zwischen
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