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Friedhof New York

Friedhof New York

Titel: Friedhof New York
Autoren: Jason Dark
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»Irgendwann wirst du mich hassen, Chato!« sagte der Mann mit tränenerstickter Stimme.
    »Warum sollte ich?«
    »Weil es dir den Tod bringen kann!«
    Chato, der Apache, lächelte. »Was bedeutet schon der Tod, wenn ich an den Mann mit den bösen Träumen herankommen kann, an Jericho…«
    ***
    Der kühle Wind peitschte in Tom Sengaras Gesicht, brachte den Geruch von Regen mit und vertrieb den Gestank aus den Häuserschluchten.
    Tom Sengara gehörte zu den Spezialisten, die in schwindelnder Höhe Stahlträger montierten. Viele waren berufen, aber nur wenige auserwählt, und Tom zählte zu den Auserwählten. Er war Amerikaner, doch er fühlte sich als Indianer, als Apache, als ein Mensch, dem alles von den Weißen weggenommen worden war. Ihm und seinen Stämmen hatte einst dieses gewaltige Land gehört. Bis die Weißen kamen.
    Er wollte nicht mehr über die grausame Geschichte nachdenken, aber sie stieß ihm immer wieder auf, besonders hier in New York, einer Stadt, die er als menschenfeindlich einstufte, was sich allerdings verlor, wenn er aus großer Höhe in die Straßenschluchten hinabschaute und die Bewohner sah, die ihm vorkamen wie Zwerge, wenn sie sich durch die Schluchten bewegten. Er schaute auf sie herab, er hätte auf sie spucken können, und dies gab ihm ein gutes Gefühl.
    Dies und auch noch etwas anderes, denn er gehörte zu einer Elite. Es waren die Apachen und andere Indianer, die nach New York geholt worden waren, um noch höher zu bauen, denn sie gehörten zu den schwindelfreien Menschen, die als Gerüstbauer in großen Höhen arbeiteten und sich dort sicher bewegen konnten.
    Der Job wurde gut bezahlt, doch eine Anerkennung fand er bei den Weißen nicht.
    Leute wie ihn lud man zu keiner Party ein, man akzeptierte sie, weil sie gebraucht wurden, ansonsten ließ man sie links liegen. Aber das würde sich ändern, sehr bald sogar, denn die Zeit war reif, um die Minderheiten nach oben zu spülen.
    In ihrer Arroganz hatten die Weißen die Indianer unterschätzt. Nicht schlecht, dachte Tom, sollten sie es auch weiter so handhaben.
    Irgendwann würde es das böse Erwachen für sie geben.
    Er drehte den Kopf nach rechts und stellte den Kragen der Jacke in die Höhe, weil der Wind doch sehr unangenehm wurde. Das Wetter hatte Kapriolen geschlagen. Mal war es stickig und heiß, dann wieder kalt. Vor allen Dingen in der Höhe.
    Er konnte bis zur Hudson Bay schauen. Über dem Wasser türmten sich Wolkenberge. Sie wechselten sich mit weißer und grauer Farbe ab, aber sie waren zu hoch, um ihn erreichen zu können und seine Arbeit zu beeinträchtigen.
    Eisenträger, Farbe, Rostanstrich.
    Das waren die Begriffe, die ihm durch den Kopf schössen. Damit verdiente er sein Geld. Manchmal haßte er den Geruch der Farbe, die ihm auch in der Nacht nicht aus der Nase wollte, als wären seine Nasenwände ebenfalls gestrichen worden.
    Obwohl es nicht gestattet war, hatte er sich losgeschnallt. Zumindest in der Pause wollte er den Gurt nicht mehr tragen. Wenn er ihn umschnallte, kam er sich vor wie ein Gefangener, und er wurde automatisch wieder an das Schicksal seiner gequälten Rasse erinnert.
    Er blickte nach rechts.
    Nicht weit entfernt, aber trotzdem durch die tiefe Schlucht unüberbrückbar, hockte auf einem ähnlichen Eisenträger ein Kollege. Er lehnte mit dem Rücken an einem Betonklotz, hielt den Kopf gesenkt und schien eingeschlafen zu sein.
    Es gab Menschen, die sich in der Pause durch ein Nickerchen erholten, aber Tom wollte nicht einschlafen. Er konnte es auch nicht, denn durch seinen Kopf rasten zu viele Gedanken. Außerdem fürchtete er sich davor, in einen tiefen Schlaf zu versinken, denn das war nicht gut, überhaupt nicht gut. Damit weckte er die Geister, die ihm die schrecklichen Träume schickten, und denen konnte er nichts entgegensetzen. Sie drückten sich in sein Gehirn, sie überschatteten alles, und er dachte daran, ob er vielleicht einen Fehler gemacht hatte.
    Er hätte Chato nicht anrufen sollen, auf keinen Fall, aber…
    Tom seufzte.
    Es mußte sein.
    Er kannte Chato aus seiner Zeit in Arizona. Chato wußte Bescheid, er hatte das Grauen selbst erlebt. Jericho war gefährlich. Es war da und dennoch fern. Es war Realität und trotzdem ein Traumgebilde.
    Es war der große, unheimliche Mann, er war für die Menschen oft genug tödlich.
    Tom blickte wieder gegen die mächtigen Wolken über der Bay. Er hätte gern gegessen, er konnte nicht. Sein Magen war zu, wie abgesperrt.
    Hinter seiner Stirn tobten
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