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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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Embleton Grange
Cumberland

24. November 1947

Sehr geehrter Herr Doktor Murchison!

Bitte entschuldigen Sie, dass ich erst so spät auf Ihr Schreiben antworte.
Sie werden gewiss verstehen, warum es mir schwerfällt, Ihrer Bitte zu entsprechen. Offen gestanden, Sie haben schmerzliche Erinnerungen geweckt, nachdem ich mich zehn Jahre lang bemüht habe, sie zu vergessen. Die Expedition hat einen Freund von mir zum Krüppel gemacht und einem anderen das Leben gekostet. Ich blicke nicht gerne darauf zurück.
Sie erwähnten, dass Sie an einer Monographie über «phobische Störungen» arbeiten, worunter Sie, wie ich annehme, anomale Ängste verstehen. Zu meinem Bedauern kann ich Ihnen da nicht behilflich sein. Darüber hinaus sehe ich nicht, wie der «Fall» Jack Miller (wie Sie sich ausdrücken) mit zweckdienlichem Material für ein solches Werk aufwarten könnte.
In Ihrem Schreiben räumten Sie ein, dass Sie wenig über Spitzbergen wissen, so wenig wie über irgendeinen anderen Ort in der Hocharktis, als die das Gebiet häug bezeichnet wird. Das war zu erwarten. Nur wenige Menschen kennen sich dort aus. Vergeben Sie mir jedoch, wenn ich in Frage stelle, wie Sie dann verstehen wollen, was die Arktis einem Menschen antun kann, der dort überwintert. Der gegen Einsamkeit und Verlassenheit anzukämpfen hat, ungeachtet der vielen Annehmlichkeiten, die unsere moderne Zeit zur Verfügung stellt. Der vor allem aber die endlose Dunkelheit ertragen muss. Und wie es die Umstände geboten, war Jack zu seinem Unglück dort alleine.
Ich glaube, wir werden niemals erfahren, was sich wirklich in Gruhuken zugetragen hat. Aber nach allem, was ich weiß, bin ich der festen Überzeugung, dass etwas Entsetzliches geschehen sein muss. Und was immer das war, Herr Doktor Murchison, es war real. Es war nicht die Folge einer phobischen Störung. Diesbezüglich möchte ich anfügen, dass ich vor dem Eintritt in die Politik einige Jahre mit dem Studium der Naturwissenschaften verbracht habe und mich daher in zwei Punkten zu Recht Kenner der Ereignisse nennen darf. Zudem hat nie jemand meine geistige Gesundheit in Zweifel gezogen oder empfohlen, meinen «Fall» in eine Monographie aufzunehmen.
Ich weiß nicht, auf welchem Wege Sie zu der Kenntnis gelangt sind, dass Jack Miller ein Tagebuch über die Expedition geführt hat, aber Sie haben recht damit. Ich sah des Öfteren, dass er etwas hineinschrieb. Wir haben ihn deswegen aufgezogen, was er mit Humor nahm; dennoch hat er uns den Inhalt nie gezeigt. Zweifelsohne würde das Tagebuch, wie Sie vermuten, Aufschluss geben über das, was sich zugetragen hat; doch es hat nicht überlebt, und Jack kann ich nicht fragen.
Somit sehe ich mich leider außerstande, Ihnen behilflich zu sein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit. Ich muss Sie jedoch ersuchen, sich nicht noch einmal an mich zu wenden.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Algernon Carlisle

[zur Inhaltsübersicht]
    1
    Jack Millers Tagebuch
7. Januar 1937
    Es ist aus und vorbei. Ich gehe nicht mit.
    Ich kann nicht mit diesen Männern ein Jahr in der Arktis verbringen. Sie verabreden sich mit mir «auf ein Bier», nehmen mich dann in die Mangel und lassen deutlich durchblicken, was sie von einem Jungen mit Londoner Collegeabschluss halten. Morgen werde ich ihnen schreiben, dass sie sich ihre verfluchte Expedition an den Hut stecken können.
    Wie sie mich gemustert haben, als ich in den Pub kam.
    Die Kneipe lag abseits von The Strand, ein Ort, den ich gewöhnlich nicht aufsuche und wo vornehmlich wohlhabende Akademiker verkehren. Geruch nach Whisky und teuren Zigarren. Sogar die Bardame war etwas Besseres.
    Die vier saßen an einem Ecktisch und musterten mich, als ich mir einen Weg zu ihnen bahnte. Sie trugen weite Hosen und Tweedsakkos von diesem vornehm-abgenutzten Aussehen, das man sich nur während Landhauswochenenden aneignen kann. Ich in meinen abgetretenen Schuhen und meinem billigen Burton-Anzug. Dann sah ich die Getränke auf dem Tisch und dachte, Himmel, ich werde eine Runde spendieren müssen, und ich habe nur einen Florin und ein Dreipencestück.
    Wir begrüßten uns, und als sie hörten, dass ich keinen Gossenjargon sprach, wirkten sie ein wenig erleichtert. Ich aber war so sehr damit beschäftigt zu überlegen, wie ich mir die Getränke leisten könnte, dass ich eine Weile brauchte, um herauszufinden, wer von ihnen wer war.
    Algie Carlisle ist dick und sommersprossig, er hat helle Wimpern und rotblonde Haare, ist eher
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