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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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1 LIEFERSERVICE
    E r hatte sie sich bestellt. Während er darauf wartete, dass auf seinem neuen Trinitron (diese Farben, dieses klare Bild, welch Wunder der Technik!) Saturday Night Live anfing, erschien auf seine Bestellung die Traumfrau, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er von ihr träumte, bis ihn ihre großen blauen Augen, von der Dezemberkälte tränend, erstaunt und amüsiert musterten.
    Der Lieferant war sein zuweilen nerviger Freund Bernard Weinstein, der, stoffelig wie immer, ihre Namen in Richtung Fußboden murmelte, »Enrique, Margaret – Margaret, Enrique«, und sich prompt vor ihr in das neue Studio-Apartment drängte. Neu für Enrique Sabas und überhaupt. Das fünfstöckige Haus ohne Fahrstuhl in der Eighth Street in Greenwich Village war praktisch entkernt worden und seit zwei Monaten frisch saniert, so dass die erhöhten Preisbindungsmieten jetzt das Marktniveau erreichten. Eine Woche nach dem Verfugen der letzten Badfliese war Enrique eingezogen. Also war in Enriques Leben alles nagelneu, von den Leitungen bis zum Fernseher, als jetzt auch noch diese neue Frau hereinspazierte, zum einzigen Luxus des Apartments, einem echten Kamin, ging. Ein Lavastrom von glänzend schwarzem Haar floss ihr die Schulter herab, als sie ihre roteBaskenmütze abnahm. Dann wandte sie der Komposition aus Bleichziegeln und hellem Marmor den Rücken zu und heftete ihre tränenden Suchscheinwerfer auf Enrique, während sie den Reißverschluss einer schwarzen Daunenjacke öffnete und ein feuerwehrroter Wollpullover zum Vorschein kam, der sich eng an ihren schlanken Oberkörper und ihre kleinen Brüste schmiegte. Beim Anblick dieses bourgeoisen Striptease durchzuckte Enrique ein Stromstoß, der sich so real anfühlte, als hätte er den Warnaufkleber ignoriert, die Rückwand seines neuen Trinitron geöffnet und den Finger irgendwohin gesteckt, wo er nichts zu suchen hatte.
    Ihre blauen Augen fixierten ihn immer noch, während sie sich in einen Regiestuhl am Kamin fallen ließ, die dünnen Arme aus den Daunen wand und mit einem zierlichen Heben und Rollen der schmalen Schultern die Jacke schließlich abschüttelte. Sie hatte das körperliche Selbstbewusstsein eines Jungsmädchens, hakte ein Bein über die Armlehne des Stuhls, als hätte sie vor, sich darauf zu setzen. Stattdessen blieb sie, wie sie war, die Beine gespreizt, das geschmeidige Becken in einer ausgebleichten Jeans. Lange konnte Enrique da nicht hinschauen. Er betrachtete dagegen ihren außerordentlich schmalen Fuß, so schmal, dass ihm nur, wie Enrique später erfuhr, Sondergrößen passten. Er wusste weder, dass so kleine Füße für eine Frau, die Schuhe liebte, ein immenses Problem waren, noch, dass der schwarze Wildlederstiefel, der hin und her wippte, ihr des Preises wegen Seelenqualen verursacht hatte. Für ihn, einen ignoranten einundzwanzigjährigen Mann, war dieser Fuß in seinem Stiefel eine Provokation, nicht weil er so klein war, sondern weil er unablässig in Enriques Richtung kickte, als sollte er ihn dazu bringen, irgendetwas zu tun, um sie zu beeindrucken: Zeig was! Zeig was! Zeig was!
    Er konnte sich schlecht über diese fordernde Präsenz beschweren, weil er sich die Frau ja selbst ins Haus bestellthatte, so wie das chinesische Fastfood von Charlie Mom, dessen Reste jetzt in dem roten Mülleimer unter der blitzenden Edelstahlspüle steckten. Geblitzt hätte die Spüle ohnehin, denn er kochte kaum je in seiner neuen Küche, die eine Treppenstufe erhöht war, aber offen zum schmalen Schlaf-Wohn-Arbeitsbereich des Apartments, das er sich eigentlich nicht leisten konnte und das, obgleich schon seine dritte Bleibe, seit er das Reich seiner Eltern verlassen hatte, sein erstes wirklich eigenes Zuhause war, da er die beiden vorherigen Wohnungen mit jemandem geteilt hatte – in der einen auch das Schlafzimmer, in der anderen nicht. Er sah den mürrischen Bernard an, um ihm irgendein hilfreiches Wort abzuringen, denn, okay, er hatte sich das hier aus der Menükarte seines Freunds ausgewählt, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass die Nudeln so scharf sein würden.
    Bernard hatte zwar Margarets außergewöhnliche Qualitäten gepriesen, aber nur auf seine typisch nebulöse Weise. Bei seinen ausschweifenden Beschreibungen hatte er weder die unglaublich großen, leuchtend blauen Augen erwähnt, die es von der Wirkung her mit Elizabeth Taylor aufnehmen konnten, noch das eiskremzarte Weiß ihrer sommersprossigen Haut. Dabei war Bernard ein
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