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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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doch in der dunklen Tiefe seiner Seele, dass ihr der Schwanz des anderen Typen besser gefiel. So wie sein zweiter Roman weniger Beachtung gefunden und sich sehr viel schlechter verkauft hatte als der erste, hatte auch sein Liebesleben einen steilen Absturz erlitten, der der Anfang einer desolaten Zukunft schien.
    »Sie existiert nicht, Bernard, deshalb kannst du sie nicht beschreiben«, fauchte Enrique gekränkt aus seiner Ecke der roten Kunstledernische. »Du bist so schlecht im Erfinden von Figuren, dass du nicht mal die ideale Frau hinkriegst.«
    Bernards langes, käsiges Gesicht starrte ausdruckslos ins Leere. Das war sein üblicher Ausdruck, abgesehen von einem verächtlichen Kräuseln der Oberlippe, das sich zeigte, wenn er den Bankrott traditioneller Formen im Roman – wie Realismus, chronologischer Aufbau oder Erzählen in der dritten Person – verkündete. »Ideale Frau«, knurrte er abschätzig. »Das ist absurd. Es gibt keine ideale Frau.«
    Nervös wegen der fünf Becher Kaffee, schlug Enriquemit der Faust auf den Resopaltisch, dass der sechste Becher wackelte. »Das ist überhaupt nicht absurd!«, rief er. »Ich meine – ideal für mich! Relativ ideal!«
    Bernard lachte höhnisch. »Relativ ideal. Das ist wirklich lächerlich.« Enriques gelasseneres, klügeres Selbst wusste, dass er sich von Bernard nicht so leicht auf die Palme bringen lassen sollte, dass Bernard einfach lachhaft war und jeder vernünftige Mensch ihm, Enrique, recht gäbe. Also schien es doch unfair, dass er im Moment wohl eingestehen musste, Bernard an Idiotie noch übertroffen zu haben.
    Bernard, zufrieden mit seinem Sieg, zog ein noch ungeöffnetes Päckchen filterlose Camel aus der Brusttasche seines Arbeitshemds und begann mit einem komplizierten Ritual. Er schlug das Päckchen mindestens ein Dutzend Mal auf den Tisch, nicht etwa ein- oder zweimal, wie es Enrique genügte, um den Tabak seiner filterlosen Camel festzuklopfen. (Sie bevorzugten beide denselben Schnellzug zum Lungenkrebs.) Dann vollführten Bernards nikotingelbe, spitze Finger ein langsames Ballett, um die Zellophanhülle zu entfernen. Er begnügte sich nicht damit, an dem roten Streifen zu ziehen, durch den es Philip Morris einem erleichterte, die Oberseite des Päckchens freizulegen, nein, er entblößte die ganze Packung, was Enrique so widerwärtig fand, dass er ihn anherrschte: »Warum machst du das ganze Zellophan ab?«
    Bernard antwortete übertrieben geduldig und herablassend: »Damit ich weiß, dass es mein Päckchen ist. Wir sind nun mal beide Camel-Raucher.« Er deutete mit dem Kinn auf Enriques zellophanbekleidete Schachtel.
    »Jetzt bin ich auch noch ein Schnorrer!«, schrie Enrique und schlug wieder auf den Tisch. »Du hast diese Margaret erfunden! Deshalb habe ich dich letzten Monat nicht mit ihr im Riviera Café gesehen. Nicht, weil du auf der anderen Seite gesessen hast! Du warst gar nicht mit ihr dort, weil sie Scheiße noch mal gar nicht existiert!«
    Bernard steckte sich die Zigarette zwischen die vollen, trockenen Lippen und ließ sie dort baumeln. »Du bist kindisch«, murmelte er und zündete sich dabei die hüpfende Camel an.
    Von Bernard und sich selbst genervt, kramte Enrique seine Brieftasche aus der Gesäßtasche seiner schwarzen Levi’s und entnahm ihr alles, was sie an Geld enthielt: einen Zehndollarschein, gut und gern vier Dollar mehr als sein Anteil am Frühstück plus Trinkgeld. Spanischer Stolz siegte über den Geiz oder vielleicht auch jüdische Selbstgerechtigkeit über sozialistische Ideale oder am ehesten wohl eine dramatische Ader über graue Mathematik, und so stand er abrupt auf, stieß sich schmerzhaft das Knie am Tisch, schleuderte aus Versehen den Ärmel seines Army-Parkas in den vollen Aschenbecher und warf Bernard seine Barschaft hin. Während er sich mit dem rechten Arm über den linken Ärmel wischte, verkündete er: »Frühstück geht auf mich, du mieser Lügner.« Obwohl er mit halbangezogenem Parka (und noch dazu verkehrt herum) hinausrauschte, glaubte Enrique dennoch, einen guten Abgang hingelegt zu haben, und fühlte sich in diesem Urteil bestätigt, als Bernard am nächsten Tag anrief, um zum einen für den Pokerabend zuzusagen, der in derselben Woche bei Enrique stattfinden würde, und um zum anderen schließlich zu fragen: »Bist du Samstag zu Hause?«
    »Ja …«, sagte Enrique, indem er das Wort gelangweilt dehnte.
    »Ich gehe mit Margaret essen. Danach bringe ich sie mit zu dir. So um elf? Ist das
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