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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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fertigghosten. Die Lebensgeschichte eines Dirigenten. Langweilig bis zum Einschlafen. Ich brauchte literweise Kaffee, um bei der Stange zu bleiben.
    »Ich habe Mira losgeschickt. Mira Berglund, eine meiner stärksten Journalistinnen Leider ist sie in Georgien abgetaucht und meldet sich nicht mehr.«
    Das gab es ab und zu in der Branche. Der Reisejournalismus zog Abenteurer und Gesindel an. Insbesondere Typen, die die Pubertät nicht ganz abgeschlossen hatten oder unmittelbar im Anschluss in eine böse Midlife-Crisis gesaugt worden waren. Manche fanden die große Liebe, tauchten unter, kamen Jahre später wieder in Deutschland angekrochen, übel mitgenommen, weil die Illusionen in Rauch aufgegangen und die Ersparnisse aufgebraucht waren, und flehten um einen Job.
    »Kea, ein amerikanisches Magazin will die Rechte für die englische Übersetzung kaufen. Das ist ein Riesendeal. Wir brauchen den Auftrag, weil wir mit denen gerne langfristig ins Geschäft kommen wollen …«
    »Ich habe keine Ahnung von Georgien. Ich kann kein Russisch. Oder was sprechen die da eigentlich?«
    »Georgisch. Kein Problem. Du besorgst dir eine Dolmetscherin. Die Agentur übernimmt alle Kosten. Jeden Abend fliegt eine Maschine nonstop von München nach Tbilissi. Ich buche dir das Ticket. Economy flex, wenn du willst. Jederzeit umbuchbar.«
    Ich hatte mir geschworen, nie mehr zu fliegen. Nie mehr von der Einsamkeit des Reisens verschluckt zu werden, die mir mehr als die Hälfte meines beruflichen Lebens zur Hölle gemacht hatte. Ich wollte nicht mehr in Lounges an Flughäfen herumhängen oder in Hotels, in denen mir nur Fernsehgeräte und Minibars Gesellschaft leisteten, bis ich freiwillig mit meinem zerkratzten Spiegelbild in einem Badezimmer voller Kakerlaken ratschte. Ich hatte genug von Ausnahmezuständen, annullierten Flügen und emotionaler Drangsal.
    Nero trat in den Garten. Er brachte mir meinen Mantel und legte ihn mir über die Schultern. Das war ein Mann! Er wusste, was ich brauchte. Nur, wo würde mein Leben nun hinführen? Von einem selbstverliebten Ghostwritingprojekt zum nächsten? Von einer Beerdigung zur nächsten? Wie viel Zeit stand mir zur Verfügung? Und was, bitteschön, sollte ich mit meiner Lebenszeit anfangen?
    Nero würde übermorgen ans BKA nach Wiesbaden fahren und dort eine Fortbildung halten. Anschließend hatte ihn der BND eingeladen. Wir wären ohnehin mindestens einen knappen Monat getrennt.
    »Wie lange …?«, begann ich.
    »Mira wollte drei Wochen bleiben. Kea, gib deinem Herzen einen Stoß. Dir traue ich zu, dass du zurechtkommst und die richtige Story mit nach Hause bringst.«
    »Sag mal, wann hatten die diesen Krieg?«
    »2008. Exakt darum geht es.« Lynns Stimme klang ein bisschen zu glatt. Das sichere Anzeichen von Ungeduld.
    »Ist ja eine Ewigkeit her«, unkte ich. »Nicht mal zwei Jahre.« Nero sah mich an, als wollte er mir das Telefon aus der Hand reißen. Immer besorgt, dieser Mann mit den Torfaugen und dem italienischen Bart. Immer auf der Seite von Gesetz und Gerechtigkeit. Einer, der das Schlimmste stets für möglich hielt. Nero würde durchdrehen, wenn ich nach Georgien fuhr.
    »Sie tranchiert Sascha«, flüsterte er mir zu. »Deeskalationsmaßnahmen laufen ins Leere.« Er blinzelte, weil er wusste, wie allergisch ich auf Polizeijargon reagierte.
    »Ich mach’s«, sagte ich. »Reserviere mir den Flug für morgen Abend.«
    Nero starrte mich an.
    »Oder warte mal, Lynn. Buche zwei Tickets. Nein, auf eure Kosten! Und ob ich weiß, dass du das kannst!«

2
    Weit im Norden Georgiens, an der russischen Grenze, im Ort Kasbegi, der mittlerweile Stepandsminda hieß, weil man ja wieder religiös sein und sich mit den Namen von Heiligen wie dem heiligen Stefan schmücken durfte, machte sich eine alte Frau mit dem vielsagenden Vornamen Medea auf den Weg, um in der Kirche Dsminda Sameba zu beten. Die Kirche befand sich auf einem dem berühmten Kasbek vorgelagerten Berg, dem Kwemi Mta, hoch über dem Ort. Der Weg war beschwerlich, aber Medea, die ihr genaues Alter nicht kannte, hatte mit Ausdauer und Beharrlichkeit fast jedes Ziel in ihrem Leben erreicht. Der steile Aufstieg vom Dorf schreckte sie nicht. Sie hatte Zeit. Sie trug ausgetretene Gummistiefel, die sie früher verwendet hatte, um Trauben zu zerstampfen, damit irgendwann Wein daraus wurde. Allerdings lebte sie derzeit in einer unwirtlichen Bergregion, wo von Wein keine Rede sein konnte. Sie lebte hier, weil es ihr sinnvoll erschien, nicht in
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