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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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Kaffeetasse gesehen, was sie für wichtig hielt. Was sich irgendwie anders anfühlte als das, was sie mit einem Lächeln kommentieren konnte, um anschließend die Tassen auszuspülen. Meist war es um Veränderungen gegangen, auf die sie Keti beiläufig hinwies. Und sie hatte jedes Mal recht behalten.
    Oft kamen die Bilder, wenn sie dem Schlaf zutrieb. Weichgezeichnete Skizzen von Dingen, die sie am nächsten Morgen in ihr Heft schrieb. Hingetuscht, wie ein eiliges Aquarell.
    Während sie auf Dsminda Sameba zustapfte, fiel ihr auf, dass sie nie irgendein Aufhebens um diese Dinge gemacht hatte. Dass sie zuweilen die Zukunft lesen konnte, daran war nichts Mysteriöses. Sie hatte einfach ein paar Zusammenhänge erkannt und logisch zu Ende gedacht. Bewohnte ihre Gedanken bewusster als die meisten Menschen.
    Die Sache mit den zwei Frauengesichtern war anders. Medea war keine Frau, die sich von scheinbar stimmigen Symbolen in die Irre führen ließ. Was einem zunächst schlüssig erschien, stellte sich im Nachhinein meistens als völlig falsch heraus. Medea war nie irgendwelchen Konstrukten auf den Leim gegangen. Soviel seelisches Leid das Leben ihr auch gebracht hat: Für eines war es gut gewesen. Der Schmerz hatte für klare Sicht gesorgt.
    Sie betrat die Kirche, faltete die Hände und betete. Sie murmelte nur, denn sie betete in ihren eigenen Worten, in der Sprache, in der ihre Mutter mit ihr gesprochen hatte, und das ging den Mönch nichts an, der sich in der Ecke mit den Souvenirs zu schaffen machte. Wer kaufte jetzt schon ein Andenken! Zwischen den Versen, die Medea kaum hörbar rezitierte, schnaubte sie verächtlich. Der Mönch beachtete sie nicht. Hier tauchten genug Jammergestalten auf. Alte und Kranke, die im heutigen Georgien zum Elend verdammt waren. Die froh sein konnten, wenn sie Kinder hatten, die ihnen Essen gaben, ein Dach über dem Kopf, die für die Arztrechnungen aufkamen. Medea kannte die geschundenen Seelen, die sich den Berg hinaufschleppten, wo sie auf den ohnedies zermürbten Knien dreimal die Kirche umrundeten, um Erlösung von ihren Sünden und Leiden flehend. Denen blieb nichts anderes als ein Glaube, der zu biegsam war, als dass er an den umliegenden Massiven zerschellen konnte. Erlösung kam nur einmal im Leben, das wusste Medea: Erlösung brachte nur der Tod.
    Sie hatte keine Bitte auf den Lippen. Sie glaubte auch nicht an die Vergebung der Sünden. In ihrer Überzeugung musste man irgendwann für das Schlechte, das man getan hatte, büßen. Medea suchte keine Barmherzigkeit. Sie strebte nach Klarheit, und in den alten, kahlen Mauern hier oben fand sie die Erkenntnis schneller als irgendwo sonst.
    Allein deshalb war sie hier.

3
    Wir saßen am Gate H04 des Münchner Airports, der unter dem Namen Franz-Josef-Strauß-Flughafen firmierte. Das mochte der alleinige Grund für Julianes schlechte Gefühle sein. Sie murrte halblaut etwas von Nepotismus und fehlendem ökologischen Bewusstsein. An meine Gefühle mochte ich gar nicht denken. Das musste ich aber auch nicht. Sie drängten sich von selbst auf. Meine Kehle war so trocken wie ein Fetzen Papier, mein Herz hämmerte. Ich hatte beinahe 48 Stunden nicht geschlafen. In den letzten beiden Nächten war ich durch die Hölle gegangen. Durch verschiedene Höllen. Meine alte Reisepanik brach auf. Ich verfluchte mich und meine Zusage, ich verfluchte Nero und unsere Beziehung. Der Hauptkommissar war zu nichts anderem imstande, als mir Vorhaltungen zu machen. Gefährliche Gegend. Unsichere politische Lage. Teilreisewarnung des Auswärtigen Amtes.
    Von letzterer ließ ich mich nicht einschüchtern. Ich hatte ganz andere Gegenden bereist und immer überlebt. Was mich peinigte, war das wirklichkeitsfremde Gefühl, in die Luft gewirbelt und dann losgelassen zu werden. Die Angst, verloren zu gehen. Nie mehr zurückzukehren. Von einem schwarzen Loch verschluckt zu werden. Jeder halbwegs realitätsbewusste Mensch hätte mir einen Vogel gezeigt. Ich wusste selbst, dass ich vollkommen irrationale Befürchtungen auskochte. Das änderte trotzdem nichts daran, dass sie meinem Körper aufs Übelste mitspielten.
    Nero hatte tatsächlich für zwei Minuten geglaubt, ich wollte ihn mit in den Kaukasus nehmen.
    Wollte ich aber nicht. Ich hatte, während ich mit Lynn telefonierte, schlagartig an Juliane als Reisebegleitung gedacht. »Sie braucht Ablenkung, Nero«, verklickerte ich ihm meine Entscheidung. »Dollys Tod hat sie mehr mitgenommen, als sie zugibt. Sie ist eine
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