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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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wegbröselte und von der Straße an manchen Stellen nur Bruchstücke übrigließ.
    Der letzte Märztag erwies sich als trüb und verregnet und ließ Gugas Revier noch trister als in den letzten Wochen erscheinen.
    Die A 302 machte einige Kilometer hinter Sagaredscho eine weite Rechtskurve, dann wieder eine Linkskurve, und anschließend begann ein langes, gerades Streckenstück. Es hatte gestern den ganzen Tag geregnet. Die Straße war rutschig. Der Wagen war seitlich abgekommen, wegen überhöhter Geschwindigkeit vermutlich, hatte sich die Böschung hinunter überschlagen und war schließlich gegen einen Baum geprallt. Sonderbar, dass es den Opel ausgerechnet hier von der Straße geschleudert hatte, wo die Strecke kilometerweit keine Biegung machte. Das war allerdings nicht das einzig Mysteriöse an dieser Havarie, die gestern Nachmittag ein völlig demoliertes Fahrzeug, jedoch keine Verletzten hinterlassen hatte. Die zahnlose Alte, die an der Straße hausgemachten Käse verkaufte, sagte Guga, sie hätte schon so viele Unfälle gesehen, sie könnte sich nicht erinnern, wie viele genau, und dabei bekreuzigte sie sich.
    Das Kennzeichen des Unfallwagens war gefälscht. Guga hatte gestern die Fahrgestellnummer überprüfen wollen. Sie war weggefeilt. Blut klebte an der Esche, die den rasanten Abgang gestoppt hatte. Getrocknetes Blut an einem Baumstamm, das war der einzige Hinweis auf ein potenzielles Unfallopfer. Sämtliche Scheiben waren geborsten.
    »Wer das hier überlebt hat, war mit Sicherheit übel zugerichtet«, sagte Guga Gelaschwili laut in den schroffen Wind hinein, der von Südosten herüberfegte. »Wie konnte der Fahrer einfach so davonlaufen? Hat er nirgendwo Hilfe gesucht?«
    »Was hast du gesagt?« Die Alte war ihm nachgekommen. Sie hockte seit dem Morgen auf ihrem Schemel am Straßenrand unter einer Plastikfolie und fror bis in die Knochen. Bei dem Wetter hielt kaum ein Kunde. Sie war froh um Abwechslung. »Wieso bist du heute eigentlich wieder hier, hm? Ist immerhin einen Tag her, dass es gekracht hat. Ihr seid ja noch langsamer als früher.«
    Sie erinnert sich also doch, dachte Guga verstimmt. Er war zu jung, um sich in eine Diskussion über ›früher‹ hineinziehen lassen zu wollen. Als die Sowjetunion zusammenbrach und Georgien sich in einen desaströsen Loslösungsprozess aufmachte, war er gerade 10 Jahre alt gewesen. Zu jung, um zu verstehen, was geschah, und zu alt, um sich nicht mit aller Macht zu wünschen, dass Anarchie, Bürgerkrieg und Zusammenbruch niemals wiederkommen sollten. Deshalb war er zur Patrouille gegangen. Weil er der Meinung war, dass Ordnung nicht nur das halbe, sondern das ganze Leben war. Die Gesellschaft brauchte eine klare Struktur; dies war ihre einzige Chance,nicht wieder dem Kahlfraß anheimzufallen.
    »Wir warten auf ein Spezialfahrzeug, um das Autowrack abzutransportieren, Kalbatono 1 «, sagte Guga höflich.
    »Bei unseren Zuständen? Sie zahlen uns eine Rente, von der man nicht mal sterben kann. Aber ein Spezialfahrzeug. Für kaputte Autos!«
    »Es gibt eine forensische Untersuchung, Kalbatono.«
    »Eine was?« Die Alte nestelte an ihrem Kopftuch, um das sie zum Schutz vor dem Wind zusätzlich einen Schal geschlungen hatte.
    »Wir müssen herausfinden, wie es zu dem Unfall kam.«
    »Ach nee!« Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Junge, Junge, das kann ich dir sagen, wie es zu dem Unfall kam. Weil die alle rasen wie von Sinnen, und zuvor haben sie einen über den Durst getrunken. Das ist der Grund, mein Kleiner.«
    Sinnlos, ihr zu erklären, dass es vier Indizien dafür gab, warum mit diesem Crash etwas nicht stimmte: Das gefälschte Kennzeichen, die weggefeilte Fahrgestellnummer, die Tatsache, dass es keinen Fahrer gab, auch keinen verletzten Fahrer, und die fehlenden Papiere. Sie hatten nirgendwo in dem Wrack irgendwelche Dokumente gefunden. Keinen Führerschein. Nichts. Nicht den kleinsten Schnipsel. Nicht einmal Bargeld. Guga hatte zwei Anfragen auf den Weg gebracht: An die umliegenden Ärzte und Kliniken, in der Hoffnung, jemand habe sich dort gemeldet, um seine Verletzungen behandeln zu lassen. Und an seine Kollegen von der Drogenfahndung, die das Autowrack der Spürnase eines speziell abgerichteten Hundes überlassen würden.
    »Haben Sie den Unfall beobachtet, Kalbatono?«
    »Habe ich alles schon gesagt, Junge. Nichts habe ich gesehen, bis auf dieses Blechungeheuer.«
    »Am späten Nachmittag, nicht wahr, Kalbatono? Es war«, er sah auf seine Notizen,
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