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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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war klar: Mira Berglund hatte ihre Sachen nicht mitgenommen. Hatte sie ein neues Leben beginnen wollen? Dass ich in ihrem Zimmer untergekommen war, behagte mir nicht.
    »Kann ich ihr Gepäck mal anschauen?«, fragte ich vorsichtig. »Ich soll an ihrer Stelle eine Reportage schreiben, vielleicht finde ich ein paar Notizen oder anderes, was mir nützlich ist.«
    »Natürlich.« Beso griff nach einem Schlüssel und ging mir voraus in den Keller.
    Miras schmaler Trolley war vollgestopft mit wenigen Klamotten und einem Stoffkänguru, dessen Stupsnase so abgewetzt war, dass der Schaumstoff durchguckte. Gebrauchte Slips, Waschbeutel, ein Sommerkleid. Unterlagen, die für ihre Arbeit hätten wichtig sein können, entdeckte ich nicht. Kein Notizbuch, keine Adressenlisten. Kein Handy, kein Notebook. Keine Dokumente, kein Geld, keine Kreditkarten, keine Schecks.
    O. k., dachte ich, während mir der Kopf brummte von der Müdigkeit, die mir nach wie vor in den Knochen steckte. Mira hat alles dabei, was sie unbedingt braucht, um im Ausland zurechtzukommen. Vermutlich sogar ihr Handy und einen Computer. Alles andere hat sie zurückgelassen. Aber warum den Waschbeutel? Ratlos sah ich auf die zerkaute Zahnbürste, die Gesichtscreme, die Aspirintabletten. Ich an ihrer Stelle hätte den Waschbeutel mitgenommen. Eine Zahnbürste war immer vonnöten. Und Aspirin. Im fremden Land, in dem die Bevölkerung angeblich ausgesprochen trinkfest war, konnte man darauf nicht verzichten. Ich zog wahllos ein paar zusammengeknüllte Kleidungsstücke aus dem Gepäck. Würde in ein paar Wochen jemand so in meinen Sachen wühlen? Ich räusperte mich, als säße mir ein Ochsenfrosch in der Kehle, und tastete durch die Taschen einer weit geschnittenen Jeans. Mira Berglund musste ungefähr meine Figur haben. Ich fingerte einen zusammengeknüllten Zettel aus der hinteren Tasche. Beschrieben in kleinen georgischen Buchstaben; rund, heiter, fremd und ohne Unterweisung nicht zu dechiffrieren. Eine Kolonne Zahlen folgte.
    »Was steht da?«
    Beso beugte sich vor. »Tamara. Die Telefonnummer einer gewissen Tamara.«
    »Konnte Frau Berglund Georgisch?«
    »Ein bisschen. Sie kam durch mit ihren Sprachkenntnissen.« Er lächelte milde. »Die Sprache ist sehr schwer erlernbar. Südkaukasische Sprachgruppe. Wie vom Himmel gefallen. Die meisten Ausländer, die für einen Besuch hierherkommen, machen sich nicht die Mühe, auch nur unser Alphabet zu erlernen.«
    »Danke«, sagte ich zu Beso.
    Er nickte.
    Juliane stand an der Rezeption. Sie hatte eine knallrote Häkelmütze über ihr kurzes Haar gestülpt und hielt Kamera und Stadtplan in die Höhe. »Können wir?«
    Wir verließen das Hotel, trabten eine schmale, steile Straße hinunter. Fremde Gerüche. Frisches Brot. Kaffee. Unbekannte Pflanzen. Etwas Brackiges. Früchte, die in tropischer Vielfalt direkt an der Straße feilgeboten wurden.
    Auf allen meinen Reisen hatten mich zuerst die Gerüche gefangen genommen. Mich erwartungsfroh oder panisch gestimmt. Mich hoffen lassen, die Reise würde schnell zu Ende gehen. Oder mich in eine Hochstimmung versetzt, die den Duktus meiner Reportage überschwänglich werden ließ und Lynn zu Nachbesserungen Anlass gab. Hier, im alten Herzen von Tbilissi, in einer Welt aus runden, knuddeligen Buchstaben, zwischen all den unbekannten Düften, dem Lärm und dem in einem fort wirbelnden Straßenstaub, fühlte ich mich verloren.
    Gut gelaunt hakte Juliane sich bei mir unter. »Hier kommen wir direkt zur Rustaweli-Avenue. Eine der schönsten Prachtstraßen in der Ex-Sowjetunion.«
    »Da muss dein Herz ja höher schlagen.« Ich spielte auf Julianes sozialistische Lebenseinstellung an. Der Wandel der politischen Umstände in den vergangenen 20 Jahren hatte sie nicht dazu gebracht, ihre Meinung zu ändern.
    »Entspann dich einfach, Kea. Genieße die Zeit, grabe ein paar lustige Geschichten aus, schreibe deinen Artikel. Dann fahren wir heim und du darfst wieder deprimiert in deinem Arbeitszimmer hocken, deine Gänse füttern und die öden Lebensgeschichten selbstverliebter Egoisten schreiben.«
    »Das Ghostwriting deprimiert mich nicht, im Gegenteil«, schnappte ich.
    »Du brauchst dich nicht zu verteidigen«, erwiderte Juliane. »Hier sind wir übrigens schon. Rustaweli-Avenue. Schota Rustaweli war ein Dichter, wenn ich das richtig nachgelesen habe, und zwar der berühmteste, den Georgien hervorgebracht hat.«
    Wir ließen uns über den Gehsteig der Avenue treiben, an schicken Boutiquen
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