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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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und Mobilfunkgeschäften vorbei, an winzigen Läden, in denen alte Frauen Bonbons und Kaugummi verkauften, an Bäckereien und Konditoreien, in deren Auslagen kaum all die gewaltigen Kuchen und Torten Platz fanden, an eleganten Restaurants und bettelnden Zigeunern, an Holzbänken mit kunstvoll geschnitzten Lehnen, auf denen Leute in der Sonne saßen und schwatzten.
    »Erinnert an Palermo«, sagte ich.
    »Erinnert an Wien«, entgegnete Juliane.
    »Stimmt. Der Ring. Oder an Neapel.« Ich wies auf die Straße, auf der ein Verkehr tobte, wie ich ihn lange nicht gesehen hatte. Alles erschien zehnmal so laut, zehnmal so schmutzig und zehnmal so aggressiv wie am Münchner Stachus zur Stoßzeit. Geländewagen rasten an alten Schigulis vorbei, Hupen jaulten auf wie heimwehkranke Zootiere. Der Gestank nach Abgasen war betäubend. Der Wind trieb blaue Wolken über die Avenue.
    »Ziemlich bleihaltige Luft«, sagte Juliane.
    »Hör mal. Hältst du es für möglich, dass Mira einen Tagesausflug geplant hat? Und dann nicht zurückgekommen ist?« Ich schilderte Juliane, was ich in Miras Gepäck gefunden hatte.
    »Denkbar.« Sie hielt vor einem Bücherstand. »Sieh mal, die haben deutsche Bücher.«
    »Das ist jetzt das Pariser Gesicht. Denk an die Bookinisten.«
    Juliane grinste. »Von allem etwas. Der reinste Schmelztiegel.«
    »Nimm mal an, Mira fuhr nur für einen Tag irgendwo hin. Und kam nicht zurück. Welche Gründe könnte es dafür geben?«
    Ein Mann mit einer Pudelmütze auf dem schmalen Kopf kam hinter einem Büchertisch hervor. »Madam, maybe this is interesting for you!« Er hielt Juliane einen Bildband hin, der Tbilissi zu einer Zeit zeigte, als ich definitiv noch nicht geboren war.
    Juliane verschenkte ihr herzerwärmendes Lächeln, schüttelte den Kopf und ging weiter. »Dann kann sie nur einen Unfall gehabt haben.«
    »Oder sie ist entführt worden. Soll es alles geben. Das sind wilde Bergvölker hier.«
    Entnervt blieb Juliane stehen. »Kea, ich habe ja ein gewisses Verständnis für Vergangenheitsbewältigung, aber meinst du nicht, es wäre mal an der Zeit, ein bisschen frischen Wind in dein Leben zu lassen? Dieser Bombenanschlag auf dem Sinai ist Jahre her! Deine Verletzungen sind verheilt. Auch die Seele heilt irgendwann. Wenn das nicht so wäre – wie, glaubst du, würden alle diese Menschen weiterleben können?« Sie zeigte auf eine Frau undefinierbaren Alters in einem langen, schmutzstarrenden Mantel, die über den Gehsteig robbte. Sie hatte keine Beine und reckte alle paar Meter die Hand bettelnd in die Luft.
    Ja, ich war ein Opfer des Terrorismus. Und ja, der Anschlag auf das Hard Rock Café in Scharm al-Scheich war fast fünf Jahre her. Ich hatte überlebt. Ich besaß eine künstliche Hüfte, nannte ein paar hässliche Narben an Bauch, Oberschenkel und Knie mein eigen, die meinen Lover jedoch nicht störten, da er sich vor allem mit meinen weichen, runden Formen und meinem langen Haar beschäftigte. Nur manchmal, im Traum, traf mich die enorme Druckwelle wieder, schleuderte mich durch einen unendlich erscheinenden Raum. Ich roch verschmortes Plastik, glühendes Metall und erlebte von Neuem die Panik vieler Menschen, denen voller Entsetzen klar wurde, dass sie sterben würden. Wobei vielen von ihnen diese Erkenntnis nicht einmal mehr dämmern konnte, weil sie bereits durch den Tunnel trieben, in die andere Welt.
    »Lass uns da vorne was essen«, sagte Juliane. Sie spürte, dass ich kurz davor stand, die Fassung zu verlieren, und zog mich in den Innenhof eines Restaurants.

6
    Juliane hatte es irgendwie geschafft, uns ein Mittagessen zu bestellen. Der Tisch bog sich unter den Leckereien. Geräucherte Forelle, Auberginen in Walnusssoße, garniert mit den roten Perlen eines Granatapfels, Salat aus Tomaten, Gurken, Zwiebeln, ein mit Käse gefülltes Fladenbrot, Weißbrot, Hähnchen in Tomatensoße und ein großer Teller gegrilltes Fleisch.
    »Nun schlag mal ordentlich zu«, sagte Juliane ungerührt. Ihr Appetit war legendär. Dabei war sie dünn wie ein Starkstromkabel. Beneidenswert. Bei mir herrschte eher das Gegenteil vor: Jeder Hungeranfall, den ich halbwegs befriedigte, ließ mich ein paar Pfund schwerer zurück.
    Zum ersten Mal auf dieser Reise begann ich, mich ein bisschen zu entspannen. Mauersegler zischten wie kleine Jets durch den Hof. Der aberwitzige Verkehr klang nur gedämpft herein. Zwei Frauen hielten vor einer an das Restaurant grenzenden Emailwerkstatt ein Schwätzchen und rauchten. Es war warm
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