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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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den Schutzmantel des sowjetischen Reiches.« Sie hob ihr Weinglas. »So ähnlich jedenfalls. Ein alter Trick. Bezahle ein paar Leute, die Randale machen, destabilisiere eine Region, und dann mische mit.«
    »Du meinst, das ist die Absicht Russlands?«
    Juliane sah mich über den Rand ihres Glases hinweg an. »Sag mal, schaust du jemals Nachrichten oder liest du eine vernünftige Zeitung?«
    Ich zuckte die Achseln. Ehrlich gesagt hatten mich meine letzten Ghostwriting-Projekte ziemlich mit Beschlag belegt. Ich war gerade noch dazugekommen, im Netz zu twittern. Mehr auch nicht. Beschämt legte ich den Zettel, den ich in Miras Sachen gefunden hatte, auf den Tisch. »Das war in Miras Jeans.«
    »Und sonst nichts Schriftliches? Keine Notizen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Auch keine Kamera. Ungewöhnlich für eine Journalistin.«
    »Hat sie dem Hotelmenschen gesagt, wo sie hinwollte?«
    »Der kann sich an einen blauen Opel Astra erinnern, mit dem Mira abgeholt wurde.«
    »Immerhin etwas.«
    »Das Kennzeichen hat Beso sich garantiert nicht gemerkt.«
    »Hast du ihn danach gefragt?« Juliane sah mich schief an. »Egal. Nehmen wir an, sie will einfach losdallern. Sich was anschauen, recherchieren. Schließlich hat sie einen Artikel abzuliefern. Sie mietet für einen Tag einen Fahrer und zieht los. Mit Kamera, mit Notebook, mit all ihren Sachen. Dann baut sie einen Unfall.«
    »Bei dem Verkehr hier nicht ganz unwahrscheinlich«, steuerte ich meine Meinung bei. »Ein Unfall müsste irgendwo registriert sein. Mira hatte ihren Pass dabei, jedenfalls waren keine Dokumente unter ihren Sachen. Und bei einer Ausländerin würde die Polizei sicher nachforschen.«
    »Ich finde, du solltest Miras Pläne abhaken und dich auf deine Arbeit konzentrieren. Schreib die Reportage aus deinem Blickwinkel, nicht aus ihrem.«
    »Das habe ich vor.« In irgendeine unausgegorene Geschichte hineingezogen zu werden, war das letzte, was ich beabsichtigte.
    »Also: Das wird eine Reportagereise. Abgemacht?«
    Ich runzelte die Stirn. »Was hast du denn erwartet?«
    »Nichts. Gar nichts.« Juliane sah in die Ferne und drehte ihr Weinglas in den Händen.

7
    Nie hat mich jemand wirklich geliebt. Außer meiner Großmutter. Aber die habe ich verloren. Manche sagen, man müsse nur loslassen, ausgediente Denkmuster austauschen gegen neue. Wenn das so einfach wäre! Ich habe zu vieles verloren. Eigentlich nichts besessen, selbst das Wenige abgeben müssen. Wahrscheinlich fällt mir das Loslassen deshalb so schwer.
    Ich muss arbeiten. So hart arbeiten. Ich habe nie auch nur einen Tag frei. Das können sich die anderen gar nicht vorstellen. Die sehen alle nur das aufregende Äußere. Eine Oberfläche aus Glanz und Abenteuer.
    Es war Zufall, dass ich diese Amerikanerin im ›Old House‹ am Mtkwari getroffen habe. Ich bin essen gegangen. Allein, wie so oft. Diesmal war es gut. Denn Kristin saß auch allein, wir haben uns zusammengesetzt und unterhalten, und sie erzählte, dass sie Kurse in autobiografischem Schreiben gibt. Um Leuten zu helfen, sich über ihr Leben klar zu werden, und zwar mithilfe eines Tagebuchs. Sie leitet ein eigenes Institut dafür. Ich fühle mich jetzt, wo ich angefangen habe, mein Leben aufzuschreiben, ziemlich unbeholfen. Kristin meinte, ich sollte gar nicht auf den Stil achten, nicht auf die Rechtschreibung. Wenn Schreiben eine Katharsis sein soll, musst du einfach loslegen, alles rauslassen, ohne deine Gedanken zu kontrollieren. Behauptete Kristin. Das fällt mir schwer. Ich habe immer alles unter Kontrolle. Ich muss alles unter Kontrolle haben, sonst entgleitet mir die Perfektion, und dann werde ich zum Niemand.
    Wie das Spaß machte! Endlich mal wieder im Restaurant zu sitzen und zu quatschen, ohne auf die Uhr zu sehen. Zwei Gläser Wein zu trinken, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Zuzuhören, wie jemand von einem Job erzählt, den ich tausend Mal unterhaltsamer finde als meinen. Kristin kommt wirklich nah an die Leute heran, die an ihren Kursen teilnehmen. Das hat sie mir selbst erzählt. An den Abenden, wenn die Leute dasitzen und in ihren Tagebüchern schreiben, wenn Kristin ihnen Tipps gibt und Anregungen, dann geht es ans Eingemachte. Dann packen viele aus. Kristin sagt, es ist nicht zu glauben, was alles unter den Deckeln der guten Miene gärt.
    Ich habe mich immer gescheut, anzufangen. Nur mein Terminkalender konserviert, wo ich wann war und was auf meiner Agenda stand. Doch laut Kristin ist das Tagebuch nicht als
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