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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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und die Luft schwer vom Duft des in voller Blüte stehenden Kastanienbaums in der Mitte des Hofes.
    »Das ist der Süden«, befand Juliane und bediente sich am Hähnchen. »Man fragt sich, warum man nicht auswandert. Die georgische Küche ist übrigens berühmt. Das Fladenbrot hier wird frisch gebacken. Es heißt Chatschapuri, was wörtlich ›Käsebrot‹ bedeutet. Steht im Reiseführer.«
    Ich nahm mir ein Viertel von dem dampfenden Fladen. »1 A, keine Frage«, stimmte ich zu.
    »Na, endlich wirst du wieder normal. Der Kulturschock hat dich ja total ausgeknockt.«
    »Und du?«, schoss ich zurück. »Was löst deine heimeligen Gefühle aus?«
    Juliane legte ihr Besteck weg. »Ich bin einfach mal wieder nur und ausschließlich Juliane. Ohne Dolly. Ohne Sorgen, was morgen sein wird und wie lange das alles noch weitergeht. Das habe ich dir zu verdanken.«
    »Mir?«, fragte ich dämlich und probierte die Auberginen. Nie hatte ich so etwas Köstliches gegessen. Ich goss mir ein Glas Rotwein ein, den der Kellner soeben auf unserem Tisch platzierte. Verdammt, war es erst zwei Tage her, dass Juliane ihre Schwester beerdigt hatte?
    »Hast du mich nun auf deine Reise mitgenommen oder nicht?« Juliane sah mich frech an.
    »Klar, Rotkäppchen.« Endlich konnte ich lachen. Ein kleines, erleichtertes, etwas unsicheres Lachen. Ich hatte den Flug überlebt. Ich war nicht gestorben, weder beim Start noch bei der Landung. Mein Herz schlug, ich hatte Hunger. Das Wichtigste funktionierte.
    »Also, wie geht’s jetzt weiter?« Juliane fischte eine Packung Zigaretten aus ihrer Tasche.
    »Ich glaub’s nicht.«
    Sie hielt mir schweigend die Schachtel hin. Also gut. Ab und zu rauchte ich ja. Meistens mit Nero. Nach dem Sex. Das gab mir einen Stich mitten ins Herz.
    »Lynn hat mir sämtliche Kontaktadressen gemailt, die Mira auch hatte«, begann ich.
    »Und? Anhaltspunkte?«
    »Was meinst du?«
    »Hast du schon durchsortiert? Womit fangen wir an? Wo ist unser Ziel?«
    »Himmel, Juliane!« Soviel Energie bei Jetlag und einem nur mühsam und auch nicht vollkommen wiedergewonnenen seelischen Gleichgewicht konnte mich sofort niederstrecken wie ein Artillerieangriff. Ich griff in meine Schultertasche und reichte Juliane die Mappe mit den Ausdrucken. Eine Menge Namen, Adressen und Telefonnummern.
    Flink blätterte Juliane durch die Unterlagen. »Wir brauchen zuerst eine Dolmetscherin. Mein Russisch wird für unsere Zwecke vermutlich nicht ausreichen.«
    Ich hustete. »Du sprichst Russisch?«, brachte ich heraus.
    »Nur miserabel. Ich kann die Schrift lesen und komme so halbwegs zurecht. Ist ewig her, dass ich einen Kurs gemacht habe.«
    »An der Volkshochschule in Ohlkirchen?«
    »Nein. In Prag. Damals. 1968. Bevor es losging.«
    »Das hat den Tschechen bestimmt nicht gefallen, dass du Russisch gelernt hast.«
    »Unsinn. Das war an der Universität, ein stinknormaler Sprachkurs für Akademiker. Egal.«
    »Aber wir sind in Georgien«, wandte ich ein. »Die sprechen nicht Russisch.«
    »Die ältere Generation durchaus«, widersprach Juliane. »Denk daran, dass Russisch in der Sowjetunion Umgangssprache war. Und manche Jüngeren lernen sogar heute die Sprache des großen Nachbarn, obwohl die beiden Länder ja nicht gerade dicke Kumpels sind.«
    »Wer hat eigentlich den Krieg angefangen vor knapp zwei Jahren?« So stümperhaft war ich noch nie vorgegangen. Ich reiste in ein fremdes Land, ohne mich über die grundlegensten Dinge zu informieren.
    »Darüber herrscht naturgemäß Uneinigkeit.« Juliane drückte ihre Kippe aus. Sofort schoss der Kellner an unseren Tisch und wechselte den Aschenbecher aus. »Gmadlobt«, sagte Juliane.
    »Ist das Russisch?«
    »Georgisch. Bedeutet danke.«
    »Wäre ich jetzt nicht draufgekommen«, uzte ich.
    Juliane warf mir ein Küsschen zu. »Georgien hat massive Probleme mit zwei separatistischen Gebieten, Abchasien am Schwarzen Meer und Südossetien, hoch oben in den Bergen. Die Demarkationslinie zu dieser Region ist kaum 50 Kilometer von Tbilissi entfernt.«
    Ich nahm einen großen Schluck Wein. Wahrscheinlich überstand ich diese Reise nur mit einem gewissen Quantum an Alkohol und Zigaretten. Das würde mich nicht allzu teuer kommen, beides war im Vergleich zu Deutschland unverschämt preisgünstig.
    »Schon Stalin hat die rebellischen Abchasen und Osseten gewinnbringend eingesetzt, um Georgien der Sowjetunion einzuverleiben. Es wurden ein paar Scharmützel angezettelt, und ruckzuck flüchtete sich Georgien unter
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