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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen
Autoren: Will Berthold
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I.
    Die erste Nachricht kommt aus der Schweiz. Die Fünf-Zeilen-Meldung aus Bern verliert sich fast in einem Stapel Routine-Notizen, die täglich aus Europa beim amerikanischen Geheimdienst eingehen, wie aus der Gießkanne verteilt, anscheinend nach dem Woolworth-Prinzip: Die Masse macht's. Schließlich müssen die mit hohem Dollar-Etat ausgerüsteten Agenten des Außendienstes nachweisen, daß sie nicht schlafen, wenn sie der ständig drohenden Abberufung entgehen wollen.
    So jedenfalls urteilt man im ersten Moment in der Zentrale. Zunächst wittert keiner der Akteure in der Etappe der unsichtbaren Front, daß aus dem Dunkel, schleichend und würgend, die größte Bedrohung Amerikas seit dem Zweiten Weltkrieg auf sie zukommen wird.
    Dem aufmerksamen Kassierer einer Züricher Großbank waren beim täglichen Kassenabschluß zwei Fünfzig-Dollar-Scheine mit gleicher Numerierung aufgefallen. Sein spontaner Verdacht, eine der beiden Noten sei falsch, bestätigte sich nicht, denn sie glichen auch bei genauer Betrachtung einander wie eineiige Zwillinge. Bankleute wissen, daß es kein Falsifikat gibt, das sie nicht entlarven könnten. Es mußte sich – so unwahrscheinlich es schien – um ein Versehen der US-Notenbank handeln. Die Entdecker hatten sich unverzüglich und unter Wahrung strenger Diskretion (davon leben schließlich die Schweizer Banken) an die Wirtschaftsabteilung der amerikanischen Botschaft in Bern gewandt.
    Der ungewöhnliche Zwischenfall reißt niemanden vom Stuhl in der Zentrale der erst ein Jahr alten Central Intelligence Agency (CIA), die nunmehr weltweit verantwortlich für Spionage, Gegenspionage, Subversion, Sabotage und Desinformation und zur Zeit noch zum Teil Untermieter in Washingtons Pentagon ist. In den ersten beiden Abteilungen, von denen die Meldung ausgewertet wird, löst sie mehr Kopfschütteln als Entsetzen aus. Obwohl sie von Frank Gellert stammt, einem der fähigsten Agenten des Außendienstes, beurteilt man sie mehr als Kuriosität denn als Alarmsignal.
    Diese Fehleinschätzung ändert sich schlagartig, als sie James A. Partaker vorgelegt wird, dem CIA-Vice-Director und Generalstabschef des Hauses. Der große hagere Mann mit dem faltigen Gesicht, den Falkenaugen, dem unbekannten Privatleben und dem schier grenzenlosen Gedächtnis, wittert sofort eine kolossale Gefahr.
    Man hält ihn für die graue Eminenz des Untergrund-Vereins; er gilt als schroff, überlegen, nicht selten auch als verletzend. Er ist keiner der ausgedienten Offiziere, die man nach lächerlichen Gehversuchen im Spionage-Dschungel von Seiten der Militärdienststellen als gescheiterte Veteranen an die Agency abzuschieben versucht. Hinter ihrem Rücken nennt man diese zunehmend kaltgestellten Aufpasser ›Dinosaurier‹, und für einen Mann wie Partaker gehören vorzeitliche Ungetüme ins naturkundliche Museum statt in einen effizienten Geheimdienst.
    Der Vice war während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der engsten Donovan-Crew gewesen, der legendären Mannschaft des ersten US-Untergrund-Generals, die mit mehr Verwegenheit als Erfahrung hinter und zwischen den feindlichen Linien operiert hatte. Diese Vergangenheit hängt an dem Vice-Director wie ein Geruch, macht ihn dominant und hintergründig. Er hat keinen hohen Militär als Fürsprecher, er vertritt keine Waffengattung, ihn schirmt auch kein einflußreicher Senator gegen Widersacher im eigenen Headquarters ab. Seine Rückendeckung ist ausschließlich die Unersetzlichkeit. Partaker gilt als knallharter Profi, kalt wie der Henker und tödlich wie ein Kobrabiss. Kolporteure, die diese Charakterisierung verbreiten, wissen, daß sie übertreiben; ohnedies haben den Vice-Chef nur Dilettanten und Dinosaurier zu fürchten.
    Partaker ruft die Telefonzentrale an und verlangt eine Blitzverbindung mit Bern, einer der wichtigsten Auslandsresidenturen. Während des Krieges war die Schweiz die große Spionagedrehscheibe Europas gewesen, aber auch danach erweist sich Helvetia noch immer als ein Vielliebchen der Agenten. Ungeduldig tritt der Enddreißiger ans Fenster, sieht auf die Straße, sein Blick streift achtlos Passanten, die gehetzt in klimatisierte Räume flüchten. Der späte Oktobertag zeigt sich der US-Bundeshauptstadt von der übelsten Seite: drückende Schwüle, plötzliche Regengüsse, warm wie Spülwasser, dann wieder stechende Sonne.
    Das Wechselbad entspricht durchaus der politischen Großwetterlage.
    Drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hat soeben ein
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