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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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Sie trug schwarze Marlenehosen und einen feuerroten Rollkragenpulli unter ihrem Regenmantel. Auf ihrem raspelkurzen weißen Haar saß eine Schirmmütze im Fidel-Castro-Stil.
    Ich griff konzentriert nach dem Schäufelchen, das in der feuchten Erde steckte, und warf ein paar Krümel auf den Sarg. Die Tränen brannten. Nicht heulen, Mascara verläuft, dachte ich. Nach mir kam Nero, dann Juliane.
    »Lasst uns gehen!« Juliane hakte sich bei mir ein. »Ich lade euch zum Tröster ins Wirtshaus Elser ein.«
     
    Wir saßen vor Streuselkuchen mit Sahne und einem dünnen Kaffee. Juliane neben mir, Nero und Sascha uns gegenüber. Hier saß man katholisch.
    »Wie ging es ihr in letzter Zeit?«, fragte Sascha duckmäuserisch.
    »Spielt das jetzt noch eine Rolle?« Julianes Antwort kam hämisch. So kannte ich sie nicht. Dollys Tod hatte sie tief getroffen. Sie versuchte, über den Schock hinwegzutäuschen, indem sie den Kotzbrocken spielte.
    Sascha wischte sich die Augenwinkel. Nero räusperte sich alle paar Sekunden, versuchte vergeblich, gegen das stachelige Schweigen anzuarbeiten. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ich hatte Juliane lieb. Aber sie ließ sich nicht trösten. Nicht einmal anfassen. Meine zaghafte Umarmung auf dem Friedhof hatte sie abgeschmettert. Sie verhielt sich wie Gott Pan, als er feststellen musste, dass sich seine Geliebte Nymphe Syrinx in ein Schilfrohr verwandelt hatte: Sie konnte es nicht glauben.
    »Sie hat mich nicht mehr erkannt«, sagte Juliane. »Seit Monaten nicht.«
    »Möchte jemand noch Kaffee?« Nero hielt die Kanne in der Hand und sah herausfordernd in die Runde.
    Obwohl die Brühe grauenvoll schmeckte, streckte ich ihm meine Tasse hin.
    »Ich habe dich oft genug angerufen und dir geschildert, wie es um deine Mutter steht!«, fuhr Juliane fort und ein frostiger Wind wehte über den Tisch hinweg. »Du hast sie kein einziges Mal besucht.«
    Sascha schien noch schmaler zu werden. »Ich hatte keine Zeit«, verteidigte er sich.
    »Keine Zeit, die eigene Mutter zu sehen, bevor es mit ihr zu Ende ging?«
    »Aber …« Er verkroch sich in seiner Lederjacke. Ein frisch geschlüpftes Küken, das erfolglos versuchte, ins Ei zurückzurobben.
    »Nee, klar, du hast einen verantwortungsvollen Job da im kapitalistischen Pfuhl. Arbeitest dich ganz nach oben. Respekt, Neffe, Respekt.«
    Juliane sprach ihn nicht einmal mit seinem Namen an. Zum Glück war er schlau genug, nichts zu erwidern.
    »Finanzmarkt. Interessante Geschichte. Seit Kurzem wissen wir dank Krise ja eine Menge mehr über euch Krawattenmafiosi. Jetzt ist es belegt; vorher war es nur Bauchgefühl. Ich kann dich beruhigen: Dolly hätte dich sowieso nicht mehr erkannt. Sie hat nämlich keinen mehr erkannt. Nicht einmal gesprochen hat sie mehr. Ihre einzige Aktivität bestand darin, sich auszuziehen, wo immer sie saß. Kaum hattest du den Rollstuhl in den Park geschoben, knöpfte sie sich die Jacke auf. Im Speisesaal: runter mit der Bluse.« Juliane schüttelte sich. Ihr Blick lag lauernd auf Sascha. »Könnte erblich sein. Achte auf deine Gene.«
    Mein Handy klingelte.
    »Entschuldigt«, murmelte ich, versuchte, meine Erleichterung nicht zu zeigen, und ging aus der Gaststube hinaus in den Biergarten. »Laverde?« Eine Freiberuflerin musste jede Minute mit Aufträgen rechnen.
    »Kea? Hier spricht Lynn. Lynn Digas!«
    »Mensch, Lynn, lange nichts gehört.« Während ich als Reisereporterin durch die Welt tourte, hatte Lynn mich als Agentin unter Vertrag gehabt.
    »Störe ich gerade?«
    »Kann man so nicht sagen.«
    »O. k., ich mache es kurz. Kea: Könntest du dir vorstellen einzuspringen? Reportage? Möglichst sofort? Oder in den nächsten, sagen wir, drei Tagen?«
    »Du machst mir Spaß.« Der Wind fegte durch meine Kleider. Mein Mantel hing irgendwo im Wirtshaus. »Wenn es jedoch ein warmer Ort wäre …«
    »Südkaukasus. Liegt auf der Höhe von Neapel. Südlich genug. Da ist schon Frühling.«
    Ich blickte auf die Butzenscheiben, hinter denen die dezimierte Trauergesellschaft die Messer wetzte. Vermutlich hatte Juliane bereits ein großes Stück aus ihrem Neffen herausgesäbelt.
    »Süd – was?«
    »Georgien. Du weißt doch: Es gab einen Krieg da und wir haben ein renommiertes Reisemagazin unter unseren Kunden, die wissen wollen, ob es dort noch oder wieder Tourismus gibt, wenn ja, wie er aussieht und so weiter.«
    »Hast du niemanden anderen, der das machen kann?« Ich hatte keine Zeit für Mätzchen. Ich musste ein Projekt
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