Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
Vom Netzwerk:
wieder über diese Dinge nachdachte, kam es ihr vor, als hätte sie eine alte Spielzeugkiste gefunden, die ihr als Kind unermessliche Freuden und Möglichkeiten verheißen hatte, ihr als Erwachsene aber nichts weiter bedeutete, nachdem sie die harte Realität der Welt erfahren hatte. Genauso seltsam hatte sie sich gefühlt, als sie wieder ihre Wohnung in Glasgow betreten hatte, in der noch alle Kleinigkeiten ihres plötzlich unterbrochenen Lebens lagen und standen, wie sie sie zurückgelassen hatte: eine Mary Celeste im zweiten Stock in der Victoria Road.
    Langsam hatte sie dann aber akzeptiert, dass sie trotz allen Schmerzes eine zwanzigjährige Frau war, die irgendwie ein Leben auf die Beine stellen musste. Außer den Plänen für die weitere Zukunft musste sie sich auch alltäglichen Herausforderungen stellen, wie der Miete, für die sie ein Einkommen brauchte. Mum konnte ihr nicht mehr die Hand halten und die Tränen wegwischen. Und selbst wenn, war sie jetzt so alt, dass sie sich selbst um ihr Leben kümmern musste. Sie gestand sich ein, dass ihre bisherigen Entscheidungen ihr nur wenige Felder offen gelassen hatten, für die sie geeignet oder qualifiziert war. Die Schauspielerei gewann sofort wieder ihren Reiz, allerdings nicht mehr als vages, verträumtes Ziel, sondern eher als sinnvolle Beschäftigung, mit der man einen Tag füllen konnte, an dessen Ende man sogar bezahlt wurde.
    Wie schön, dass sonst niemand auf diese geniale Idee gekommen war.
    »Foxtrot Five bestätigt Sichtkontakt. Zielperson geht immernoch ohne Eile die Cresswell Lane entlang. Bleibt stehen und sieht sich ein Schaufenster an.«
    »Der will mich wohl erwischen. Überhol ihn, wenn nötig, und mach selber einen kleinen Schaufensterbummel.«
    »Foxtrot Five. Okay, okay.«
    Sie blieb stehen und sah sich das Fenster eines Schmuck- und Kunsthandwerkladens an. Sie interessierte sich aber mehr für die Spiegelung im Glas als für die Dinge dahinter. Sie stand schräg, sodass sie die Zielperson beobachten konnte, aber aus dem Augenwinkel sah sie auch kurz sich selbst in einer dieser Momentaufnahmen, die in ihrer Flüchtigkeit und Beiläufigkeit umso mehr zeigen. Sie war so smart angezogen, wie Jim es gefordert hatte, Blazer und Hose, wie eine richtige, berufstätige Erwachsene, aber sie sah nur ein verkleidetes kleines Mädchen. Klein, schmal, in der letzten Zeit etwas abgemagert, die Kleider trugen sie und nicht andersherum. Sie trug einen Haarreif, um ihr Sichtfeld nicht einzuschränken, allerdings war dadurch ihr Gesicht umso exponierter, dessen unzählige Sommersprossen sie wie dreizehn wirken ließen. Sie war zwanzig. Als sie wirklich dreizehn gewesen war, hatte sie gedacht, sie würde später mal eine richtige Frau im Spiegel sehen, so eine wie ihre Mutter und nicht diesen ewigen Teenager, der 2020 noch im Pub den Ausweis zeigen müsste.
    Die Zielperson bummelte weiter, und Jasmine folgte in gut 15   Metern Entfernung. Während sie alleine die Straße entlangging und scheinbar Selbstgespräche führte, fragte sie sich, wie Detektive vor den Zeiten von Bluetooth und Freisprechanlagen bei einer Beschattung unauffällig ihre Kollegen über Funk auf dem Laufenden gehalten hatten.
    Foxtrot Five: Das Rufzeichen hatte Jim ihr gegeben. Es spielte auf ihren Geburtstag an, den fünften Februar, aber für Jasmine hatte es eine andere Bedeutung bekommen. Sie musste immer an Fox Force Five denken, den erfolglosen Pilotfilm, über den Uma Thurman als Mia in Pulp Fiction spricht.Es war die erste und einzige Rolle der jungen Schauspielerin Mia – die große Chance, aus der nichts wurde.
    Auf der Schauspielschule hatte Jasmine, wie jeder andere auch, immer die Sorge im Hinterkopf gehabt, ob sie nach dem Abschluss wirklich Arbeit finden würde, aber für sie war das immer eine aufgeschobene Angst, die sie noch nicht an sich heranlassen konnte, denn welchen Sinn hatte sonst die Ausbildung?
    Und als sie das Ganze geschmissen hatte, hatte sie auch nicht gerade ihre Chancen verbessert. Andererseits war eine abgebrochene Schauspielausbildung nicht so schlimm wie ein abgebrochenes Medizinstudium – wenn sie beim Vorsprechen einen guten Eindruck machte, würde sie niemand nach ihren Zeugnissen fragen. Schwierig war allerdings, dass sie mit dem College auch alle sozialen Kontakte zurückgelassen hatte. Ihre Kommilitonen hatten gehört, was passiert war – ja, das arme Mädchen –, aber für sie hatte Jasmine nicht nur die Ausbildung abgebrochen – sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher