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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
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Adressfeststellung«, hatte Jim Jasmine am Montag getröstet, als sie auf dem Beifahrersitz des Peugeot angefangen hatte zu heulen, der in der Nähe des Wohnblocks in Partick parkte, wo sie Peter Harper nicht ansatzweise dazu gebracht hatte, seinen Namen zu bestätigen, während sie es ihm fast schon schriftlich gegeben hatte, dass er beschattet wurde.
    »Immerhin wissen wir jetzt, wo er wohnt«, setzte er fort.»Auch wenn er hier wohl nur noch bleibt, bis er seine Taschen gepackt und ein bisschen herumtelefoniert hat.«
    Er lächelte, und sie wusste, dass er ihr zwar nicht weiter böse war, aber auch nicht scherzte.
    »Es tut mir so leid.«
    Als Harper sie angesehen hatte, hatte Jasmine sofort die Fassung verloren. Sie musste daran denken, wie ihre Grundschullehrerin sie zum allerersten Mal aufrief. Ganz so schlimm war der Auftrag dann doch nicht gelaufen, aber eine Glanzleistung war es sicher nicht gewesen, wenn das Beste, was sie darüber sagen konnte, war, dass sie nicht in die Hose gemacht hatte.
    Es war auch kein gutes Zeugnis für ihr Schauspieltalent. Denn nichts anderes hatte sie ja tun müssen. Verdammt noch mal, das war doch einer der wenigen Gründe, die er ihr hatte nennen können, damit es ihr nicht zu sehr so vorkam, als würde er sie nur aus Mitleid anstellen: Er brauchte jemanden, der schauspielern konnte. Er hatte ihr sogar ein Skript gegeben. Dummerweise hatte Peter Harper nach circa einer halben Sekunde die vierte Wand durchbrochen, und nichts, was sie auf der Schauspielschule gelernt hatte, konnte sie retten.
    »Mach dir keine Gedanken«, wiegelte Jim ab und gab ihr eine Packung Taschentücher. »Du fängst doch gerade erst an. Gleich von Anfang an kann so was keiner.«
    Armer Jim. Er war so lieb, so großzügig und so durchschaubar. Er behauptete immer wieder, dass er sie brauchte, aber es war doch glasklar, dass er ohne Jasmine besser fuhr als mit. Sie brauchte ihn: Seit ihre Mum tot war, hatte sie sonst niemanden mehr.
    »Delta Seven. Zielperson geht weiter, nähert sich der Cresswell Lane, ich habe Schwierigkeiten, ihn im Blick zu behalten. Hast du Sichtkontakt?«
    »Ja, ja«, bestätigte sie, als sie um die Ecke zurück auf die Great George Street gekommen war.
    Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Jasmine monatelangdumpf vor sich hin vegetiert und die Stunden, Tage, sogar Wochen aus den Augen verloren. Sie verließ kaum noch das Haus und hatte keinen normalen Lebensrhythmus mehr. Sie starrte oft bis tief in die Nacht auf dem Wohnzimmersofa ins Leere und verschlief dort auch den Tag. Sie dachte nicht über die Zukunft nach, sie konnte sich nicht vorstellen jemals etwas anderes zu tun als weinen, schlafen und in die antwortlose Dunkelheit starren.
    Manchmal konnte sie sich gar nicht mehr an das kleine Mädchen erinnern, das wusste, was es mit dem ganzen Leben anfangen wollte, das vor ihm lag. Oder eher, sie hatte die Erinnerungen, es kam ihr aber so vor, als gehörten sie jemand anderem. Sie spürte keine Verbindung zu diesem Mädchen, als wäre es auch gestorben und Jasmine wäre jemand anders, der nur die gleiche Vergangenheit hatte, aber nicht den gleichen Weg in die Zukunft. In dieser Hinsicht war Trauer wohl einfacher, wenn man einen Beruf hatte, einen Mann und Kinder, weil es dann ganz klischeemäßig stimmt, dass das Leben weitergeht. Dann hat man eine Schablone für den Tagesablauf: Notwendigkeiten und Pflichten, die den Wunsch verdrängen, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und für immer im Bett zu bleiben. Auch wenn man keine große Lust dazu hat, weiß man, was zu tun ist.
    Sie hatte noch kein Leben. Keine Zügel, die sie wieder in die Hand nehmen konnte.
    Jasmine hatte gerade ihr letztes Jahr auf der Schauspielschule angefangen, als ihre Mum die schockierende, unfassbare Diagnose bekam: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er war spät erkannt worden und breitete sich schnell aus.
    Jasmine hatte ihren Vater nie gekannt. Er war gestorben, als sie noch ein Baby war, und ihre Mutter hatte nie wieder geheiratet, war nie wieder mit jemandem zusammengezogen. Sie hatten nur einander, und plötzlich blieben ihnen nur wenige gemeinsame Monate.

    Jasmine schmiss die Schauspielschule. Sie musste wieder zu ihrer Mum nach Edinburgh ziehen, musste bei ihr sein, zu Hause. Sie dachte nicht mehr an ihre Ausbildung oder an ihre Pläne. All das wurde von einem Augenblick zum anderen irrelevant, unnötiger Ballast, den sie sich auf dieser härtesten aller Reisen nicht leisten konnte.
    Als sie nach Mums Tod
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