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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
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weil seine Cousine Beth es nicht mehr konnte. Wenn er sie so weit angelernt hatte, dass sie alleine arbeiten konnte, erklärte er, konnte er sich endlich mehr Zeit für die Familie nehmen.
    Das war sehr großzügig, und es überzeugte Jasmine viel eher als Jims Behauptung, dass eine arbeitslose Schauspielerin ohne Detektiverfahrung genau das war, was seine Firma brauchte.

    »Delta Seven. Ich hab gerade einen wichtigen Anruf zu einem anderen Auftrag bekommen. Hier kann ich sowieso nicht mehr helfen, weil die Zielperson mich gesehen hat. Kann ich die Beschattung in deine fähigen Hände übergeben?«
    O Gott, bitte, bitte nicht.
    »Ja, ja.«
    Sie wusste noch, wie es war, als Jim sie vor knapp zwei Monaten eingestellt hatte. Er hatte ihr erklärt, dass es kein Samstagsjob für ein bisschen Taschengeld war, sondern dass sie ihn wirklich ernst nehmen musste. Er wusste, dass sie eigentlich als Schauspielerin arbeiten wollte, aber er erklärte ihr, dass sie sich so über Wasser halten konnte, wenn er sie eingearbeitet hatte und sie später mal zwischen zwei Rollen »Pause« machte. Er war ziemlich gerissen: Er stellte sie nicht vor die Wahl und bot ihr keinen »richtigen« Job an, der sie von ihren albernen Träumen abbringen sollte.
    So konnte sie die Zeit überbrücken, beschloss sie. Sie hatte ein bisschen Geld in der Tasche, und es war ja nur vorübergehend. Auf jeden Fall war der Job besser als kellnern: besser bezahlt, und sie musste ja quasi schauspielern. Sie gewann wertvolle Erfahrungen, die sie sich in den Lebenslauf schreiben konnte. Ja – all das redete sich wohl jeder junge Schauspieler ein, wenn er den Job antrat, mit dem er alt werden würde.
    Sie fragte sich, ob es an dieser Angst lag – irgendwann plötzlich dreißig zu sein und immer noch diesen »Übergangsjob« zu machen –, dass sie so oft Mist baute. Wollte sie unterbewusst scheitern, um Jim die Entscheidung abzunehmen?
    Nein, sie würde Jim nie absichtlich im Stich lassen. Sie konnte es einfach nicht, das war alles. Sie steckte also in einer unmöglichen Situation: in einem Job, für den sie nicht geeignet war, den sie aber brauchte.
    Die Zielperson blieb wieder stehen. Er kam ihr eigentlich nicht wie jemand vor, der Schaufensterbummel machte,schon gar nicht in einer Straße, deren Läden auf Inneneinrichtung und ausgesprochenen Mädchen-Nippes spezialisiert waren, also war es gut möglich, dass er Ausschau nach Verfolgern hielt. Höchstwahrscheinlich hielt er die Augen nach Jim offen, aber da er offensichtlich misstrauisch war, durfte sie nicht auffallen. Ohne einen zweiten Mann, der die Beschattung übernehmen konnte, musste sie ein Schaufenster weitergehen und darauf warten, dass er sie wieder überholte. Als sie an ihm vorbeiging, hielt sie den Blick gesenkt, aber vor Unsicherheit, ob er sie wirklich nicht bemerkte, schaute sie ganz kurz zu ihm hinüber – genau in dem Moment, als er sich umdrehte, um die Straße abzusuchen. Ihre Blicke trafen sich. Mit glühenden Wangen und bleischwerem Magen ging sie weiter – das war das wohlbekannte Gefühl, dass sie es verbockt hatte.
    In seinem zugestellten, engen, kleinen Büro in Arden im Süden von Glasgow hatte Jim ein vergilbtes Comicposter hängen: Ein vertrottelter Typ steht mit einem Becken in der rechten Hand in seinem Orchester und darüber die Denkblase: »Diesmal verbock ichs nicht, diesmal nicht, diesmal nicht.« Erst, wenn man genauer hinsah, merkte man, dass er nichts in der linken Hand hatte. Die Bildunterschrift lautete: »Roger verbockt’s.«
    So kam Jasmine sich jeden Tag bei der Arbeit vor. Je mehr Mühe sie sich gab, desto mehr Möglichkeiten fand sie, Mist zu bauen. Auch jetzt noch, als sie sich trainierte, konzentriert zu bleiben, und sich entschlossen hatte, es nicht zu verbocken, hatte sie Angst, dass all das sie doch nur davon ablenkte, dass ihr ein Becken fehlte.
    Sie musste klar denken. Ihre Blicke hatten sich zwar gekreuzt, aber genau genommen war sie noch nicht erkannt. Es war aber auf jeden Fall eine Gelbe Karte. Er hatte sie gesehen, also würde er sie wiedererkennen, wenn sie ihn zu deutlich ansah, aber im Moment war sie nur eine junge Frau, derenBlick zufällig seinen gekreuzt hatte. Er wirkte sowieso wie ein schmieriger Typ, der bestimmt jeden Tag dabei erwischt wurde, wie er Mädchen hinterherglotzte.
    Sie ging auf die andere Straßenseite und suchte sich ein neues Schaufenster. Mit klopfendem Herzen wartete sie darauf, dass er sie wieder überholte, umso
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