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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
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verzweifelter, weil Jim den Auftrag in ihre »fähigen« Hände übergeben hatte.
    Sie hatten für diesen Fall kaum noch Zeit und schon zu viele Chancen verspielt, und Jasmine würde nicht nur Jim hängen lassen, wenn sie heute versagte.
    »Die Zielperson heißt Robert Croft«, hatte Jim erklärt. »Ein siebenunddreißigjähriger Stuckateur aus Clarkston. Auftraggeberin ist die Kanzlei Hayden   –   Murray, die Mrs   Dorothy Muldoon vertritt, eine verwitwete Rentnerin aus Giffnock. Letzten Dezember ist Mrs   Muldoon in einem Kreisverkehr in Pollokshaws Crofts Escort-Kastenwagen hinten aufgefahren. Die Schäden sind minimal, also nimmt sie die Schuld auf sich und rechnet mit den Selbstbehaltkosten für ein bisschen Ausbeulen und Lackieren. Dummerweise hat der aufmerksame Mr   Croft gemerkt, dass Mrs   Muldoon ihm in einem Lexus aufgefahren ist, und da haben sich die Zahnräder in seinem geldgierigen kleinen Kopf in Bewegung gesetzt.
    Zwei Wochen später bekommt sie ein Schreiben, dass sie auf langfristigen Verdienstausfall verklagt wird, weil Mr   Croft so schwer verletzt wurde, dass er seine Kelle nicht mehr schwingen kann. Absender ist eine Firma namens Scotiaclaim.«
    »Das sind doch die mit dem peinlichen Werbespot, oder? Die Schmerzensgeldgeier?«
    »Genau. Zwielichtiger als der Verein geht’s nicht mehr. Die schalten tagsüber ihre Werbespots, weil es billiger ist, aber hauptsächlich, weil ihre Zielgruppe arbeitsscheues Pack ist, das den ganzen Tag auf seinem fetten Arsch rumsitzt, während andere Leute sich abschuften, und trotzdem meint,es hat was Besseres verdient. Als ich gehört habe, dass die ihn vertreten, wusste ich gleich Bescheid. Die von Hayden   –   Murray haben natürlich ihre Zweifel am Wahrheitsgehalt von Mr   Crofts Behauptungen, zumal sie herausgefunden haben, dass er schon mal mit einer ähnlichen Klage durchgekommen ist. Das ist zwar vor Gericht nichts wert, aber wir wissen, woran wir sind.«
    »Was ist denn mit den Ärzten? Er braucht doch bestimmt ein medizinisches Gutachten.«
    »Na ja, windige Anwälte kennen meistens auch windige Ärzte. Die bekommen immer die passende Diagnose. Und selbst wenn Hayden   –   Murray eine unabhängige Untersuchung durchsetzen können, wird Croft von seinen Leuten aufgeklärt worden sein, welche vagen und unüberprüfbaren Symptome er aufzählen muss. Wenn er die nicht sowieso schon kannte.«
    Der Verhandlungstag kam immer näher, und bisher hatten sie nichts in der Hand. Sie waren ihm schon zweimal gefolgt. Das eine Mal hatte Jasmine ihn auf dem Kinoparkplatz in Paisley verloren. Das andere Mal hatten sie schon gejubelt, weil er in ein Fitnesscenter gegangen war – eine Aufnahme von ihm beim Schwimmen oder an den Gewichten war alles, was sie brauchten. Leider ging er doch nur zu einem Physiotherapeuten, den er wahrscheinlich als Zeugen anführte, der aussagen konnte, dass er Crofts nebulöse Verletzung behandelt hatte. Das einzig Gute an der Sache war, dass er die Beschattung anscheinend noch nicht bemerkt hatte, auch wenn Scotiaclaim ihn sicher vor dieser Möglichkeit gewarnt hatte. Noch bestand also eine geringe Chance, ihn bei etwas zu erwischen, wozu er nicht fähig sein dürfte.
    »So langsam wird’s eng«, hatte Jim zugegeben. »Es kann gut sein, dass er auf Nummer sicher geht, und wir überhaupt nichts zu sehen kriegen.«
    »Wirst du trotzdem bezahlt?«
    »Ja, aber es tut weh, so einen Kerl damit durchkommen zusehen. Außerdem zeigen sich die Anwälte zwar verständnisvoll, wenn man mit leeren Händen wiederkommt, aber die Chancen stehen schlecht, dass sie einen noch mal anrufen.«
    Jasmine sah, wie Crofts Spiegelbild über das Fenster zog, aber diesmal widerstand sie der Versuchung, sich zu vergewissern, dass er sie nicht anschaute. Sie drehte nur leicht den Kopf, um ihn aus dem Augenwinkel im Blick zu behalten, bis sie weitergehen konnte. Wegen des Augenkontakts von vorhin hatte sie ihm diesmal einen größeren Vorsprung gelassen.
    »Zielperson biegt links, links, links in die Cresswell Street ein.« Jim hörte zwar nicht mehr mit, aber sie protokollierte weiter, teils fürs Band (bzw. die Speicherkarte) ihrer versteckten Kamera, teils zur Übung.
    Als sie sich dem Ende der Fußgängerstraße näherte, packte Jasmine die Angst davor, was sie auf der Cresswell Street sehen würde – oder eher nicht sehen würde. Das muss ein gängiges Phänomen sein, dachte sie: die Angst des Beschatters vor der Ecke. Diese Angst saß so tief,
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