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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
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existierte einfach nicht mehr, sie war auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
    Überhaupt einen Vorsprechtermin zu bekommen, war schon schwer genug. Man musste beim Netzwerken alles geben, sich teilweise richtig aufdrängen, um zu erfahren, wo jemand gesucht wurde. Sie hatte es bisher viermal in die engere Auswahl geschafft, aber noch keine Rolle bekommen.
    Ihr einziger Hoffnungsschimmer waren eine Regisseurin namens Charlotte Queen und ihre Truppe Fire Curtain gewesen. Jasmine war von Charlotte zum zweiten Vorsprechen für ihre Tourproduktion von Top Girls eingeladen worden. Sie bekam die Rolle nicht, aber Charlotte fand, sie sei vielleicht die Richtige für die Miranda in ihrer Produktion von Shakespeares Sturm auf dem Edinburgh Festival Fringe im nächsten Jahr. Das Stück würde wahrscheinlich in einer alten Garage in Newington aufgeführt werden, aber gerade als Schauspieler kommt man viel leichter an Arbeit, wenn man schon welchehat. Wenn sie die Rolle bekam, bedeutete das sowohl Geld auf dem Konto als auch vier Wochen im Rampenlicht, in denen sie für eine neue Rolle entdeckt werden konnte.
    Charlotte Queen war schon so etwas wie eine Legende des schottischen Theaters. Auch sie hatte die Theaterschule abgebrochen, aber bei ihr hatte es nicht an einem Trauerfall gelegen, sondern an ihrer Ungeduld, wie sie in Interviews gern sagte. Sie habe sich eingeschränkt gefühlt und deshalb mit zweiundzwanzig eine eigene Theatertruppe gegründet. Niemand konnte abstreiten, dass sie eine Naturgewalt war, doch manche Beobachter merkten an, dass es sicher nicht geschadet habe, dass ihr Vater Hamish Queen war, der Londoner West-End-Regisseur und – Produzent. Sie hatte also reichlich Connections und genügend Startkapital. Andererseits hätte Charlotte es sich auch leichter machen können. Sie hatte einen Teil ihrer Kindheit im Highland-Sommerhaus ihrer Familie verbracht und in Gemeinschaftshäusern und Sporthallen der Gegend Aufführungen der Royal Shakespeare Company gesehen. Sie war überzeugt, dass die Provinzbewohner nicht nur deshalb in Scharen kamen, weil es die RSC war. Zwar war das auch ein Grund, weil die Marke eine gewisse Qualität versprach, aber Charlotte glaubte, dass es in der Provinz allgemein ein großes potenzielles Theaterpublikum gab. Und nach einigen Anfangsschwierigkeiten behielt sie tatsächlich recht, und Fire Curtain wurde eine beliebte und von den Kritikern geschätzte fahrende Truppe.
    Jasmine wusste, wie wichtig es war, dass sie bei Charlotte einen guten Eindruck hinterlassen hatte. Die war zwar als unzuverlässige, launische Egozentrikerin verschrien, aber wenn sie wollte, kitzelte sie Bestleistungen aus einem heraus und ließ einen auf der Bühne großartig aussehen. Man sagte, sie schätze ihre Schauspieler sehr und baue sie wunderbar auf, doch dürften diese nie mehr sein als schöne Planeten, die um sie als Sonne kreisten; sie habe ein präzises Auge für Talent,aber nur um sich selbst damit zu schmücken. Das war Jasmine egal. Es war schon ein Glücksfall gewesen, einen Vorsprechtermin bei Fire Curtain zu bekommen. Als sie dann zum zweiten Mal eingeladen wurde, konnte sie ihr Glück kaum fassen, und die Aussicht auf eine Rolle bei der Fringe-Produktion war so aufregend, dass Jasmine nach zehn Uhr abends nicht mehr daran denken durfte, weil sie sonst nie einschlafen würde.
    Es war aber nur ein Vielleicht, und zwar ein Vielleicht für nächsten August. Sie musste aber vor allem im Hier und Jetzt klarkommen, und dabei half ihr Onkel Jim.
    Jim war ein Cousin ihrer Mutter, also genau genommen nicht ihr Onkel, aber sie hatte ihn schon als Kleinkind so genannt. Mum und er waren sich immer nah gewesen, auch wenn sie nicht immer in engem Kontakt standen. Jim stand überhaupt mit kaum jemandem in engem Kontakt, was daran lag, dass er sich immer mehr von seiner Arbeit als Polizist hatte vereinnahmen lassen. Wenn er nach ein paar Whisky rührselig wurde, schüttete er einem gern das Herz darüber aus, dass er nie für seine Frau und seine drei Kinder da war, weil er zu viel zu tun hatte. Mittlerweile war er fünffacher Großvater, und er hatte geschworen, sich jetzt mehr Zeit für die Familie zu nehmen und öfter mal auf die Kleinen aufzupassen, aber die Verpflichtungen seines Einmannbetriebs ließen ihn nun wieder alle Versprechen brechen.
    Er hatte also in doppelter Hinsicht das Richtige tun wollen, als er Jasmine anstellte. Er wusste, dass sie einen Job brauchte, und er wollte ihr unbedingt helfen,
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