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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Dean Koontz
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1.
    Der Oktoberwind kam von den Sternen herab. Mit dem Zischen einer Airbrush-Pistole schien er den bleichen Mondschein wie einen Farbnebel über die Schieferdächer der Kirche und der Abtei zu wehen, über die hohen Fenster und an den Kalksteinmauern hinunter. Dort, wo der Rasen stellenweise durch die jüngste Kälte ausgeblichen war, ähnelte das tote Gras im frostigen Mondlicht Eis.
    Um zwei Uhr morgens machte Deucalion einen Spaziergang um das knapp drei Hektar große Grundstück herum, dem Rande des Waldes folgend, von dem es umgeben war. Er brauchte kein Laternenlicht, das ihm den Weg wies, und er hätte es nicht einmal in der tiefsten Schwärze der Bergwälder gebraucht.
    Von Zeit zu Zeit hörte er Geräusche unbekannten Ursprungs zwischen den hoch aufragenden Kiefern. Er trug keine Waffe bei sich, denn er fürchtete nichts im Wald, nichts in der Nacht, nichts auf Erden.
    Obwohl er ungewöhnlich groß, muskulös und kräftig war, entsprangen sein Selbstvertrauen und seine Seelenstärke nicht seiner Körperkraft.
    Er lief bergab, an der Schule von St. Bartholomew vorbei, in der Waisenkinder mit körperlichen Behinderungen und Entwicklungsstörungen im Schlaf flogen, während die Benediktinernonnen über sie wachten. Nach Angaben von Schwester Angela, der Mutter Oberin, ging es in dem häufigsten Traum ihrer jungen Schützlinge darum, aus eigener Kraft zu fliegen, sich hoch über die Schule, die Abtei, die Kirche und den Wald aufzuschwingen.
    Die meisten Fenster waren dunkel, doch in Schwester Angelas Büro im Erdgeschoss schimmerte Licht. Deucalion spielte mit dem Gedanken, sie um Rat zu fragen, aber sie kannte nicht die volle Wahrheit über ihn, die sie hätte erfahren müssen, um sein Problem zu verstehen.
    Jahrhundertealt, aber geistig jung, nicht von Mann und Frau gezeugt, sondern stattdessen aus den Leichen toter Schwerverbrecher zusammengesetzt und durch seltsame Blitze zum Leben erweckt, fühlte sich Deucalion nirgendwo sonst so wohl wie in Klöstern. Als das erste und, so glaubte er, einzige überlebende Geschöpf Victor Frankensteins gehörte er auf dieser Welt nirgendwohin, und doch fühlte er sich in der St. Bartholomew’s Abbey nicht als Außenseiter. Schon früher hatte er sich als Besucher französischer, italienischer, spanischer, peruanischer und tibetanischer Klöster wohlgefühlt.
    Er hatte seine Unterkunft im Gästeflügel verlassen, weil ihn ein Verdacht plagte, der ihm irrational erschien, den er aber trotzdem nicht abschütteln konnte. Er hoffte, ein Spaziergang in der kühlen Bergluft würde sein bedrücktes Gemüt aufhellen.
    Als Deucalion das Grundstück umrundet hatte und den Eingang zur Abteikirche erreichte, war ihm klar geworden, dass sich sein Verdacht nicht etwa auf logisches Denken gründete, sondern auf Intuition. Er war weise genug und besaß ausreichend Erfahrung, um zu wissen, dass die Intuition die höchste Form des Wissens war und niemals ignoriert werden sollte.
    Ohne die Tür zu benutzen, trat er aus der Nacht in die innere Vorhalle der Kirche.
    Er wagte es, zwei Finger in das Weihwasserbecken zu tauchen, das Kreuzzeichen zu machen und den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist anzurufen. Seine Existenz war eine Blasphemie, eine Kampfansage an die Heilige Ordnung, da sein Schöpfer gegen das Göttliche und gegen sämtliche Naturgesetze aufbegehrt hatte. Und doch hatte Deucalion Grund zu hoffen, er sei nicht nur ein Ding aus Fleisch und Knochen und sein endgültiges Schicksal könnte vielleicht doch nicht darin bestehen, der Vergessenheit anheimzufallen.
    Ohne das lange Hauptschiff zu durchqueren, begab er sich vom Eingang direkt zum Chorgitter.
    Die Kirche lag größtenteils im Dunkeln und wurde nur von einem Licht, das auf das große Kruzifix über dem Altar gerichtet war, und flackernden Votivkerzen in dunkelroten Gläsern erhellt.
    Sowie Deucalion an dem Gitter auftauchte, merkte er, dass außer ihm noch jemand in der Kirche war. Als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, drehte er sich um und sah einen Mönch, der sich von der vordersten Kirchenbank erhob.
    Mit seinen eins siebzig und seinen neunzig Kilo war Bruder Salvatore weniger fett als vielmehr in dem Sinne kompakt, in dem man den Würfel, zu dem eine hydraulische Presse ein Auto zusammenstaucht, als kompakt bezeichnen würde. Er sah aus, als würden selbst Gewehr- und Pistolenkugeln einfach von ihm abprallen.
    Es mochte sein, dass die harten Kanten und der grobe Schnitt seines Gesichts Salvatore in
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