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Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)

Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)

Titel: Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Autoren: Alexandra Balzer
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    1.
     
„Entscheidet eine Dunkle Schwester, dass ihre Lebensaufgabe beendet ist, dann erinnert sie sich an ihr Leben. An alles, was war, was sie getan hat. Diejenige, die ihr den Todeskuss gibt, wird all diese Erinnerungen mit ihr teilen und für den Rest ihres Lebens in sich tragen. Es ist eine große Verantwortung, solch eine Kostbarkeit anzunehmen. Wählt klug, Töchter der Pya! Geht lieber ohne das Ritual, als mit der falschen Hexe eure Seele zu teilen.
Yosi von Rannam, „Töchter der Dunkelheit“
     
     
„Zum letzten Mal: Zahl die drei Kupferlinge, oder geh nach Hause, Alter!“
Der Bauer murrte, doch er hatte keine Wahl. Er musste zahlen, sonst würde er mit seinen Ziegen heute nicht am Markttag teilnehmen können.
Inani betrachtete die Szene lächelnd. Gleich war sie an der Reihe. Sie trug ein schlichtes braunes Leinenkleid, ein Tuch verbarg ihre leuchtend roten Haare. In dieser langen Warteschlange von Bauern, Bürgern und Händlern fiel sie nicht weiter auf.
Gelangweilt wurde sie von dem Torwächter gemustert. Inani wusste, er sah nichts als eine kleine zierliche Frau. Eine Magd oder Bäuerin, wie so viele andere hier. Nach einem kurzen Abschätzen des Weidenkorbs voller Leinentücher, den sie auf der Hüfte gestützt trug, sagte er:
„Ein Kupferling Wegezoll, und mach schnell!“
Inani sah zu ihm auf. Ihre hellblauen Augen leuchteten, als sie seinen Blick gefangen nahm.
„Ich habe bereits bezahlt. Erinnerst du dich nicht?“ , wisperte sie in sein Bewusstsein.
Der Torwächter taumelte, Inani spürte, wie glühender Schmerz in seinem Kopf explodierte.
„Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Herr?“, rief sie laut.
Der Moment verging, und der Wächter rang krampfhaft hustend nach Luft. Er taumelte haltlos umher, die Hände fest gegen die Schläfen gepresst.
„Was machst du da, Ryk?“, brüllte jemand aus der Wachstube.
„Nichts, alles in Ordnung“, rief der Wächter ins Leere. Er wandte sich Inani zu, die ihn mit besorgter Miene betrachtete.
„Geh weiter, du hältst die Leute auf!“, herrschte er sie an.
„Hey, die musste nichts zahlen, das ist ungerecht!“ Eine Bäuerin mit einer Tragekiepe voller Eier stemmte empört die Fäuste in die Seiten.
„Halt’s Maul! Natürlich hat das Weib den Zoll bezahlt, wie jeder andere auch. Und du wartest gefälligst, bis du dran bist, sonst hast du gleich keine Eier mehr zum Verkauf!“
Inani rückte derweil ihren Korb zurecht und marschierte zufrieden lächelnd in die Stadt.
Sie sah aus den Augenwinkeln die dunkle Gestalt, die sich am Tumult vor dem Tor vorbeidrückte.
Ein wunderbarer Tag!, dachte sie begeistert. Lautes Geschrei in ihrem Rücken zeugte davon, dass die wütende Bäuerin jetzt wohl tatsächlich ihre Ware verloren hatte. Dummes Ding. Wann würden die Menschen endlich einsehen, dass Gerechtigkeit nichts war, das man mit Worten einfordern oder gar von Göttern erflehen konnte, sondern ein teures Handelsgut, bezahlt mit Gold oder Blut?
Der Name dieser Stadt war Rannam. Inani atmete tief den Gestank von Verfall und Armut, Fäkalien und jeglicher Art Dreck ein.
Sperrt Tiere auf einen Haufen, und du wirst im Mist ertrinken. Egal, ob es Ziegen oder Menschen sind , dachte sie, während sie mit geschürztem Rock leichtfüßig über die matschigen Straßen trippelte. Manchmal vermisste sie die raffinierten Kanalleitungen und die fleißigen Straßenfeger von Roen Orm, doch niemals an Tagen wie diesen. Der heutige Tag war Pya geweiht, auch wenn die braven Bürger davon noch nichts wussten.
„Nimm, die Göttin segne dich“, rief sie einem zahnlosen Bettler zu und gab ihm ein Stück sauberes weißes Leinentuch aus dem Korb.
„Danke, Herrin, danke!“, murmelte der Alte verwirrt. Er drehte und wendete das Tuch, steckte es schließlich in seine Tasche. Es mochte wertlos für ihn sein, trotzdem, es war ein Geschenk. Inani huschte um die nächste Häuserecke, blieb allerdings nah genug, um ihn noch beobachten zu können. Lange musste sie nicht warten …
 „Was hat die Frau dir gerade gegeben?“ Ein Mann baute sich über dem Bettler auf. Groß gewachsen war er, der dunkle
Umhang und die Kapuze verbargen Gestalt und Gesicht – nicht aber den Schwertgriff über seiner Schulter.
„Nichts Unrechtes, Herr. Sie schenkte mir ein Stück Stoff“, wimmerte der Alte. Er wollte nach dem Tuch greifen, doch der Mann winkte hastig ab.
„Lass gut sein, Alter. Hier, geh in die Taverne dort und iss eine Suppe.“ Er warf dem Bettler ein Beutelchen zu, in dem es
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