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Truthahn um zwölf

Truthahn um zwölf

Titel: Truthahn um zwölf
Autoren: Mary Scott
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1
     
    »Ich hab’ gerade über
Weihnachten nachgedacht«, sagte Larry.
    »Warum?«, fragte ich gereizt.
Es war schließlich erst Oktober, und wir steckten mitten in der Schafschur.
Außerdem erwartete ich Tony, die an diesem Nachmittag heimkommen sollte. Larry
überzeugte sich durch einen Blick in den Backofen, daß es der riesigen
Hammelkeule, die wir für die Schafscherer brieten, an nichts fehlte. Dann sagte
sie: »Du weißt, daß wir immer zu spät anfangen. Übrigens hab’ ich eine
ausgezeichnete Idee.«
    Ich schälte weiter Kartoffeln.
»Was hast du denn diesmal vor? Ein Picknick im Busch, wie vor zwei Jahren, als
dann ein Gewitter kam, unsere Männer tobten und wir uns Erkältungen holten?
Oder einen Ausflug zum Fischen in den Hafen, bei dem wir alle zusammen drei
kleine Fische fingen und du zuletzt Sams Ohr erwischtest?«
    »Nörgle nicht, Susan. Ich hasse
Leute, die kleine, längst vergessene Fehler immer wieder herauskramen. Nein,
diesmal ist es etwas ganz anderes. Wir wollen alles viel einfacher machen, ganz
ohne Umstände. Man macht sich viel zu viel Arbeit mit Weihnachten. Das ist
nicht der ursprüngliche Sinn dieses Festes«, und Larry blickte seelenvoll, was
bedeutete, daß sie keinen Truthahn braten wollte. Ich schrie fast Hurra.
Endlich eine gute Idee. Seit ein paar Jahren pflegte sich unser ganzer Kreis
bei einer der Familien zum Essen zu treffen, jedes Jahr bei einer anderen, und
dieses Mal waren wir an der Reihe. »Keine Umstände« bedeutete kein warmes
Essen.
    Larry fuhr fort: »Keine
Glückwünsche oder Geschenke, außer für die Kinder. Die ganze Sache wächst uns
über den Kopf. Letztes Jahr bekam ich einhundertsiebenundzwanzig Karten und
neunzehn Taschentücher. Als ob ich einen Dauerschnupfen hätte.«
    »Aber die kamen dir gerade
recht für die Leute, die du bis zuletzt vergessen hattest.«
    »Ja, nur leider brachte ich
alles durcheinander und schickte ein paar Leuten ihre Taschentücher wieder
zurück.«
    »Die Leute bist du damit los.
Sie werden dir dieses Weihnachten nichts schenken.«
    »Ja, das ist ein Trost. Aber
wir wollen ganz damit aufhören, Susan. Keine Geschenke für Erwachsene, nur für
die Kinder.
    Keinen schrecklichen Truthahn
um zwölf. Nur Berge von kaltem Rindfleisch und kalter Zunge, und das gibt es
sicher in Tantchens Supermarkt.«
    Die Idee mit dem Essen
begeisterte mich, aber ich zögerte doch auch, die Geschenke so radikal
abzuschaffen.
    »Ich hätte von Paul gerne einen
neuen Sattel bekommen.«
    »Warum nicht? Aber nicht zu
Weihnachten. Und keine Geschenke unter uns, auch nicht für Tim und Anne, Julian
und die anderen. Wir werden das Geld sparen, und ich weiß, daß alle erleichtert
sein werden.«
    »Was machen wir mit dem
Colonel? Du weißt, wie heilig ihm alle alten englischen Bräuche sind«, denn der
Colonel, unser Nachbar, war sehr englisch und sehr patriarchalisch.
    »Also gut, beim Colonel machen
wir eine Ausnahme. Aber nur eine Kleinigkeit, vielleicht ein hübsches Leinentaschentuch.
Übrigens hab’ ich gestern diese Ursula Maitland getroffen, seine Nichte. Sie
sagte, sie hätte alle ihre Weihnachtseinkäufe schon vor Wochen gemacht, und nur
dumme Leute würden bis zum November warten.«
    »Paßt zu ihr. Ich kann diese
Frau nicht ausstehen. Und was hast du gesagt?«
    »Ich lächelte nur mitleidig und
fragte, ob sie sich wirklich noch mit diesem altmodischen Kram abgebe. Wir
hätten das so ziemlich überwunden und würden lieber an den Sinn von Weihnachten
denken und es als stilles Fest feiern.«
    Ursula mußte sprachlos gewesen
sein. Ich war es zumindest. Die Idee, daß Larry irgendetwas als ein stilles
Fest feiern könnte, war grotesk. Trotzdem freute es mich, daß sie das letzte
Wort behalten hatte.
    Wir litten alle unter Ursula.
Sie hatte uns sehr enttäuscht, zumindest uns drei Frauen. Wir schätzten Colonel
Gerard sehr, wenn es auch eine Weile gedauert hatte, bis wir uns an ihn gewöhnt
hatten. Er war der »reiche Mann« der Gegend und hatte uns zuerst als dumme Bauern
betrachtet. Dann hatte Anne, sein einziges Kind, einen Kriegsheimkehrer
geheiratet, und er mußte sich notgedrungen mit Tims beiden Freunden aus den
Kriegsjahren abfinden. Bald fand er immer mehr Gefallen an Sam und Paul, und
jetzt fühlten wir uns wie eine große, glückliche Familie. Natürlich hatten wir
erwartet, daß wir uns auch mit seiner englischen Nichte, Ursula Maitland, gut
verstehen würden.
    Aber sie gehörte nicht zu den
Leuten, mit denen man sich gut versteht —
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